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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0330
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Tektonik. Technisch-Historisches.

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dem hinzukommenden Metallbeschläge, sind von nun an wich-
tigste Motive und Haltpunkte der Dekoration.
An und für sich hat diese Auffassung der Aufgabe ihre volle
Berechtigung, durch sie allein wird man der stofflichen Metamor-
phose der Wandbekleidung in die Holztäfelung vollständig ge-
recht. — Aber wie in allen Kunstbethätigungen der Grundtypus
durch alle Umwandlungen, die er auf späteren Entwicklungsphasen
durchzumachen hat, seine ganze Bedeutung behalten soll, so ist
es auch hier der Fall. Das Rahmenwerk und das Stabwerk sollen
die Täfelung selbst, d. h. die Füllung, niemals überwuchern,
letztere soll Hauptsache, eigentliches Motiv bleiben und sich dem
entsprechend teppichartig und reich entwickeln, die einfassenden
struktiven Elemente sollen ihr dienen, nicht sie beherrschen.
Wenigstens geht, wenn letzteres der Fall ist, das Grundmotiv in
ein anderes, ganz von ihm getrenntes, über, das Getäfel wird
Gitterwerk. Wie die Extreme sich berühren, so wird auch durch
das vervielfachte Gegitter zuletzt wieder der primitivste aber in-
haltloseste Wandschmuck, das Stabgeflecht erreicht.
Im Ganzen hat der gothische Baustil während seiner ersten
Periode die richtigen Grenzen des struktiven Prinzips, das er
voranstellt, noch innegehalten; die Wandbekleidungen, die Chor-
umschlüsse haben noch ihre wahre Bedeutung als Füllwerke, sie
behaupten vollständig das ihnen gebührende alte Vorrecht, als
Ruhepunkte der Struktur die unabhängige tendenziöse Plastik
und Malerei zu enthalten. So der Chorumschluss von Notre-Dame
de Paris, so der vollständig erhaltene der Kathedrale von Amiens,
mit seinem reichen Bildercyklus, so das von Arkaturen gebildete
Wandgetäfel der Ste. Chapelle, unter vielen anderen Belegen, die
hier aufzuführen wären.
Aber an Thiiren, Schreinen und anderen Holzarbeiten (noch
nicht eigentlich gestemmtes Tischlerwerk, sondern gespündetes
Zimmerwerk), sind oft herrlich mit Malereien gezierte Flächen
schon durch das Eisenbeschläge rücksichtslos durchschnitten, das
mit seinem (allerdings geschmackvoll) dekorativen Hervortreten
jenen Bildern schon die Berechtigung ihres Daseins streitig macht. 1
1 Vergl. als Beleg den Schrank der Kathedrale zu Bayeux vom Anfang
des 13. Jahrh., dargestellt und beschrieben in der Revue de l'Arehitecture de
M. Daly T. X. p. 130, desgleichen denjenigen in der Schatzkammer der Kathe-
drale zu Noyon aus dem Ende des 13. Jahrh. (Didron. Annales IV. 369. Viollet
Le Duc. Dictionnaire raisonne du mobilier Fran^ais le partie article armoire.)
 
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