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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0342
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Tektonik. Technisch-Historisches.

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Der so originelle heitere und zugleich sinnige, schwunghaft
elegante Dekorationsstil der Renaissance war, äusser der Holz-
schnitzerei und eingelegten Arbeit auf Holz, besonders auch beein-
flusst durch die Metallotechnik, der jene der Frührenais-
sance eignen Schärfen und Feinheiten zunächst angehören, der
sie natürlich und stilgerecht sind. Die ohnediess alttraditio-
nelle Anwendung des Metalls zu Geräthen fand besonderen Vor-
schub durch die damals auf den Gipfel getriebene Kultur der
Schutzwaffen, in Folge welcher die Waffenschmiede Italiens (vor-
nehmlich Lombarden) dahin gelangten mit ihrer Kunst die orien-
talische, ja selbst die antike Metallotechnik zu überbieten; Reich-
thum der Erfindung, Freiheit und Meisterschaft in der Verwer-
thung aller dekorativ-formalen Hülfsmittel des Metalls, Voll-
kommenheit der technischen Ausführung vereinigen sich in ihren
Arbeiten mit dem ausgesuchtesten Geschmack und der aller-
strengsten Stilgerechtigkeit.
Ueber sie und ihre Werke wird noch in der Metallotechnik
zu reden sein; hier sei nur bemerkt, dass sie die eigentlichen Er-
finder der Renaissancearabeske sind, in der sich das orientalische
Laubwerk und Muster mit dem griechischen Akanthus so anmuths-
voll vermählt. So erlangte das antike Bekleidungsprinzip plötz-
voller Bilderrahmen). In Siena leiht Balthasar Peruzzi sein architektonisches
Genie der Kunsttischlerei. Seine Schüler sind die beiden Barili (1500). In
Perugia das berühmte Getäfel und Stuhlwerk des Cambio, die Arbeit des
Stefano da Bergamo (1535) (Sitzrücken eingelegt, das Uebrige stark skulptirt).
In Rom macht Giuliano da Majano die Ilolzdecke von S. Marco, Giuliano
da S. Gallo die von Sta. Maria Maggiore, in einfachster Eintheilung und gol-
dener Zierde auf Weiss, Michelangelo in Florenz die Decke der Bibliotheca
Laurenziana und der Benediktinerinnen. Aber vor allen berühmt sind die
herrlichen Intarsias des Fra Damiano da Bergamo (1530) und Fra Raffaele da
Brescia: erstere im Chore von S. Domenico zu Bologna, diese in S. Petronio,
Ste Kapelle rechts. Von Fra Damiano ist auch das schöne hintere Stuhlwerlc
im Chore von Sta. Maria Maggiore zu Bergamo. Schon gegen Mitte des 16.
Jahrhunderts beginnt in Italien die Kunsttischlerei auszuschweifen, wovon im
Texte das Nähere.
Auch in Frankreich, Deutschland und vornehmlich in Belgien brachte
diese Zeit treffliche Meister der Holzschnitzerei hervor. Ein Belgier Alberto
di Brule dekorirt in Venedig den Chor von S. Giorgio maggiore mit reich
geschnitzten Historien und üppigem Ornament. Ein Meister Johan von Oude-
narde arbeitet für seine Vaterstadt und sonst in Belgien. Siehe die Altar-
zierde im Chor der Kirche Notre Dame zu Hal und eine andere mit Karyatiden
geschmückte dergl. in der Pfarrkirche zu Braine Le Comte in Belgien (Gailhabaud).
Semper, Stil II. 43
 
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