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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0363
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358

Neuntes Hauptstiick.

Stile auftreten, haben das Gemeinsame zwar vielgetheilt, aber
dennoch ungegliedert' zu sein. Hierin ist kein Unterschied
zwischen Quaderwerk und Polygonwerk. Beide bestehen aus


Das umränderte und bossirte in der Mitte der Stirnflächen unbehauene
" erkstückgemäuer an syrisch-phönikischen Substruktionen zu Baalbek, Jeru-
salem, Pyrus, Byblos, Arad, Marathos und auf anderen alt-phönikischen An-
siedlungsstätten, aus unglaublich grossen Blöcken gebaut, übertrifft in der gran-
diosen Rhythmik und technischen Vollkommenheit seines Gefüges alles sonst
Vorhandene. Nach Saulcy besteht
ein (ältester) Theil der Tempelterrasse
zu Baalbek aus einer dreifachen
Schicht von Quadern, wovon jeder
bei vierzehn Fuss Höhe zwei- vier-
bis achtundsechzig Fuss in der Länge
misst, wobei neben ihrer Grösse
auch das Verhältniss ihrer Höhe zur
Länge (wie 1 zu 6) in Erstaunen
setzt. (Saulcy voyage autour de la
mer morte II. 626).
Doch auch die Erfindung des
Kanons der kyklopischen Mauern
wird von alten Schriftstellern den
Phönikiern zugeschrieben, den sie
vielleicht in durch sie kolonisirten
Gegenden statt ihres heimischen Rie-
sengequaders annahmen, indem sie
sich nach den Eigenschaften des
vorgefundenen Baumaterials richte-
ten. In Syrien und Phönikien selbst
zeigt sich nur an Einer Stelle eine
Spur davon, unweit Akka an einem
Orte genannt Om-el-Amid (Mutter

, der Säulen;. Liesse sich der phöni-
Quadermauer zu Jerusalem. 1 '
kische Einfluss bei der Erbauung von
Tyrins, Argos und Mykene nachweisen, so wäre der Polygonbau die spätere
Erfindung, der Quaclerbau die ältere. Beispiele gleichzeitiger Anwendung
beider Stile und zwar so, dass der untere Theil der Mauer aus Quadern, der
obere aus Polygonen besteht, finden sich in Karien. Das hier dargestellte
Stück der Fundamentmauern des Tempels zu Jerusalem ist den Entretiens
des Herrn Viollet - Le- Duc entnommen, nach einer Photographie des Herrn
v.: Saulcy.,
1 Wohl ergibt sich für die Substruktion als Aufrechtes eine gewisse Glie-
derung (s. weiter unten), allein sie ermangelt der Gegensätze lebendiger und
mechanischer Thätigkeit, durch welche das Aufrecht-Gegliederte, als Gewach-
senes, inneres Leben ausdrückt.
 
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