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Der Cotenkultus

Cr ines der wicbtigftcn und intereffan-
teften Gebiete der Religionsgefcbtcbte
ift die Verehrung der Coten. Die Crauer-
fitten, an die wir von Mein auf gewöhnt
find, reichen in ihren Urfprüngen $urück
in ältefte Zeiten einer Religion, die weit
mehr Seelenkult als Gottesdienft war.
Die alten Symbole aber haben ihre Be-
deutung mannigfach gewandelt, bis Tie
unter der Ginwirkung des Cbriftentums
und einer Verfeinerung aller perTönlicben
Beziehungen jede Spur ihres Urfprungs in
beidnifebem Hberglauben verloren haben,
fflan kann nun wohl drei Stufen unter-
Tcbeiden, die aber nicht notwendig zeitlich
hintereinander folgen, vielmehr 6rade der
inneren Kultur darftcllen: den Cotcn-
dienft, der wefentlicb darauf gerichtet ift,
Ticb Telbft vor den Coten ?u febütjen, und
Tie deshalb ju fördern bemüht ift, den
Cotenkult, der die befondere Kraft der
Coten ?um Segen der I^interbleibenden ?u
verwerten fuebt, und die Cotenverebrung,
die lediglich den inneren Begebungen der
Hinterbliebenen ju den Hbgefcbiedenen
Husdruck gibt. 6s gibt nicht wenige
Sitten und Symbole, die Ticb auf alle drei
Gntftebungsweifen jurückfübren laffen.
Das Gebiet ift aber To ausgedehnt, daß in
einem kurzen Bericht nur ebarakteriftifebe
Beifpiele gegeben werden können. Diefe ent-
nehme ich, Telbft nicht forfeber auf diefem
Gebiet, wefentlicb, vielfach wörtlich, der
Darftellung, die Gdward Cebman in dem
Cexikon „Religion in Gefcbicbte und
Gegenwart", Hrtikel ,,erfcbeinungswelt
der Religion", von unterem GegenTtand
gibt; dieTer Hrtihel wird nach der volks-
kundlicben Seite ergänjt durch einen Hr-
tihel von J. von Cüpke im Telben Cexihon
„Sitten, hircblicbe". Jn den folgenden
Husfübrungcn ift die Hbficbt nicht darauf
gerichtet, die uns liebgewordenen Ge-
bräuche uns dadurch ?u entwerten und ju
entfremden, daß wir ihre febr bedenkliche
Ulurjel in abergläubifeben Hnfcbauungen
aufzeigen. Vielmehr Toll eine Ttarhe 6m-
pfindung deffen erweckt werden, wie die
Grjiebung des fflenfcbengefcblecbts ihre
uralten Symbole, diefe Kleider ihrer feeli-
feben Srrcgungen und Begebungen, wandelt
und vertieft, ohne doch den Zufammen-
hang mit ihren Urfprüngen je abzureißen.

i. Die Crauerfitten aller Völker bis in
die Gegenwart enthalten ungeheuer viel
Rückftändc primitivfter Religion. Unter

Von Univerfitäts - profeffor
D. Baumgarten in Kiel

all den Perfonen und Sachen, die mit
Gotteskräften erfüllt oder der Wirkung
dieTer Kräfte befonders ausgefetjt gedacht
werden, die mit einem ölorte als Cabu
gelten, Ttebt der Cote in allen primitiven
Völkern obenan. Bei ihnen durchwalten
ja Geifter und GeiTterkräfte die gan?e
CUelt, auch alle leblofen Dinge; ihrem Spuk
ift jeder flßenfcb jeden Hugenblick ausge-
Tetjt, feiner Ticb ?u erwehren iTt der weTent-
licbe Jnbalt der frommen Begebungen.
Der Cod nun, die Zerfet?ung des Cebens,
mit dem man eben noch in lUecbTelwtrkung
geTtanden, mußte den DaturmenTcben not-
wendig als abnorm, als widerTinnig, als
eigentlich nid->t fein Tollend, alfo als der
unbeimlicbTte, rätfelbaftefte Vorgang er-
Tcbeinen; To erblickt man darin die Hus-
wirkung von Gotteskräften, deren verun-
reinigendem Spuk man Ticb entziehen
mußte. Die Riten, die den Cod umgeben,
haben darum durchweg junäcbTt den Zweck,
das darin wirkfame unheimliche und
febädigende Cabu unwirkfam ju machen,
den Codesdämon ju verfebeueben und die
durch feine Däbe entftandene Unreinheit ?u
befeitigen. Gin befonders deutliches Sym-
bol diefer GrundanTcbauung haben wir noch
in der Cotenklage, bei der es — man denke
an die Vorgänge bei der Grweckung von
^airi Cöcbterlein! — wahrlich nicht auf
wirkliches deinen, auf den Husdruck
Tcbmerjlicber Grgriffenbeit ankam — Tolcbe
trauernde hätte jfefus auch nicht binweg-
gewiefen —, fondern auf Schreien und
beulen und wüftes Cärmmacben; das
diente dem Verfebeueben der Geifter, und
fein IClert hing ganj und gar nicht ab von
der inneren Beteiligung der Klagenden,
tiio ein Todesfall ftattgefunden hatte, da
galt es, durch allerlei Maßregeln dem
Code oder dem Coten den Rückweg in
das I)aus ?u verfperren. Daher die uralte
Sitte, die Särge mit den ^üßen voran aus
dem Fjaufe ?u tragen. Hucb die noch viel
gebräuchliche laute, lärmende fflufik, unter
deren Klängen man vom Friedhof heim-
kehrt, hängt mit der Hbficbt jufammen,
den Codesdämon $u verfebeueben. CHir
müffen uns den Grundgedanken feft ein-
prägen : hinter faft allen Crauerfitten
liegt die Hngft vor dem Cabu, mit dem
die Unreinheit, die der Cod verurfaebt,
das I)aus, die Hinterbliebenen, auch die
Ceidtragenden belegt. Gegen dies Cabu
febütjt man Ticb auch durch allerlei 6nt-
 
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