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I. l. Die gegcbemn Zustände.
und ihre Bcdeckung mit nngelöschtem Kalk befahl, mußte schon im Ja-
nnar des folgenden .Jahres widerrusen iverden. Mochten auch die Be-
amten anf Durchsührnng der Maßregel dringen, die iiber die Barbarei
des Befehles entsetzte Bevölkernng sand bei den Frauen der Kreishaupt-
leute hilsreichen Beistand und erzwang die Beibehaltnng der alten Sitten.
Jn dem Widerrnfe der Begrabnißordnnng heißt es: „Die Gemnther der
Unterthanen sind beuuruhigt worden nnd ziehen ans Vorurtheil die
Eingrabung in Särgen vor. Der Kaiser will nicht den Willen der Un-
terthanen mit Zwangsmitteln bengenll' Von dem ganzen Resormwerke
Iosephs II kann man Aehnliches behaupten. Es versuchte die Regierung
ihre Macht auch an dem inneren Menschen, wollte auch diesen unter-
than machen und nahm aus die Sitte nnd Gewohnheit, aus das Ueber-
lieferte nnd historisch Gewordene keine Rücksicht. An dieser Verblendung
mußten die Bestrebnngen der Regiernng scheitern.
Wenn das Gefühl der Unerträglichkeit herrschender Zustände sich im
Volke allgemein verbreitet, das Denken und Wollen desselben die Form
grimmiger Leidenschast angenommen hat, wenn die Lust an Aenderungen
und Resormen so ansteckend geworden ist, daß die dnrch Nenerungen am
meisten bedrohten Klassen sich dennoch zn ihren Gnnsten, sogar am lau-
testen zu ihren Gnnsten aussprechen: so kann ein gründlicher Brnch
mit der Vergangenheit vollzogen werden; dann ist anch die ausreichende
Kraft vorhanden, die einzelnen Hindernisse nnd den Widerstreit beson-
derer Jnteressen zu besiegen. Jm Taumel der Begeisterung, wo das
Große und Erhabene des ersten Schrittes die weiteren Folgen zn be-
denken und kühl zu berechnen verwehrt, kann eine Nation die größten
Dpser bringen, die kühnsten Sprünge in ihrer Entwickelnng wagen. Aber
Selbstopfer, Selbstbewegung muß es sein; eine äußere, wenn auch best-
gemeinte Nöthigung, hemmt nur den Erfolg. So war es mit den
Neuerungen des Kaisers. Sie überraschten das Volk, sie trasen dasselbe
ohne ticfgehende Theilnahme, ohne leidenschaftliche Bewegung, und er-
schienen als Gnade, nicht aber als wohlerworbenes Recht. Daher wur-
den sie auch nicht mit Eifer vertheidigt und konnten niemals die Natnr
des Unwiderrnflichen, des Unantastbaren gewinnen. „ve nolli8 sine no-
dU" klagten die Ungarn über Josephs U Reformen. Aehnliches schwebte
anch den auderen Völkern Oesterreichs auf den Lippen und lähmte die Kraft
selbst da, wo die Lust, fnr die Maßregeln des Kaisers einzustehen, vor-
handen war. Das sörmliche Recht war auf der Seite der Widersacher,
auf dieser Seite auch der Mnth und die Kraft.
Jn der späteren Erinnerung der Nachkommen tanchte freilich das
Bild Kaiser Josephs und seiner Zeit in anderen Farben empor. Die
Fehler und Missethaten der folgenden Negierungen, ihre Scheu vor jeder
Thätigkeit, damit ja nicht in die Unterthanen Leben nnd Bewegung komme,
ihr geringes Verständniß der wahren Volksinteressen ließen das Sprung-
I. l. Die gegcbemn Zustände.
und ihre Bcdeckung mit nngelöschtem Kalk befahl, mußte schon im Ja-
nnar des folgenden .Jahres widerrusen iverden. Mochten auch die Be-
amten anf Durchsührnng der Maßregel dringen, die iiber die Barbarei
des Befehles entsetzte Bevölkernng sand bei den Frauen der Kreishaupt-
leute hilsreichen Beistand und erzwang die Beibehaltnng der alten Sitten.
Jn dem Widerrnfe der Begrabnißordnnng heißt es: „Die Gemnther der
Unterthanen sind beuuruhigt worden nnd ziehen ans Vorurtheil die
Eingrabung in Särgen vor. Der Kaiser will nicht den Willen der Un-
terthanen mit Zwangsmitteln bengenll' Von dem ganzen Resormwerke
Iosephs II kann man Aehnliches behaupten. Es versuchte die Regierung
ihre Macht auch an dem inneren Menschen, wollte auch diesen unter-
than machen und nahm aus die Sitte nnd Gewohnheit, aus das Ueber-
lieferte nnd historisch Gewordene keine Rücksicht. An dieser Verblendung
mußten die Bestrebnngen der Regiernng scheitern.
Wenn das Gefühl der Unerträglichkeit herrschender Zustände sich im
Volke allgemein verbreitet, das Denken und Wollen desselben die Form
grimmiger Leidenschast angenommen hat, wenn die Lust an Aenderungen
und Resormen so ansteckend geworden ist, daß die dnrch Nenerungen am
meisten bedrohten Klassen sich dennoch zn ihren Gnnsten, sogar am lau-
testen zu ihren Gnnsten aussprechen: so kann ein gründlicher Brnch
mit der Vergangenheit vollzogen werden; dann ist anch die ausreichende
Kraft vorhanden, die einzelnen Hindernisse nnd den Widerstreit beson-
derer Jnteressen zu besiegen. Jm Taumel der Begeisterung, wo das
Große und Erhabene des ersten Schrittes die weiteren Folgen zn be-
denken und kühl zu berechnen verwehrt, kann eine Nation die größten
Dpser bringen, die kühnsten Sprünge in ihrer Entwickelnng wagen. Aber
Selbstopfer, Selbstbewegung muß es sein; eine äußere, wenn auch best-
gemeinte Nöthigung, hemmt nur den Erfolg. So war es mit den
Neuerungen des Kaisers. Sie überraschten das Volk, sie trasen dasselbe
ohne ticfgehende Theilnahme, ohne leidenschaftliche Bewegung, und er-
schienen als Gnade, nicht aber als wohlerworbenes Recht. Daher wur-
den sie auch nicht mit Eifer vertheidigt und konnten niemals die Natnr
des Unwiderrnflichen, des Unantastbaren gewinnen. „ve nolli8 sine no-
dU" klagten die Ungarn über Josephs U Reformen. Aehnliches schwebte
anch den auderen Völkern Oesterreichs auf den Lippen und lähmte die Kraft
selbst da, wo die Lust, fnr die Maßregeln des Kaisers einzustehen, vor-
handen war. Das sörmliche Recht war auf der Seite der Widersacher,
auf dieser Seite auch der Mnth und die Kraft.
Jn der späteren Erinnerung der Nachkommen tanchte freilich das
Bild Kaiser Josephs und seiner Zeit in anderen Farben empor. Die
Fehler und Missethaten der folgenden Negierungen, ihre Scheu vor jeder
Thätigkeit, damit ja nicht in die Unterthanen Leben nnd Bewegung komme,
ihr geringes Verständniß der wahren Volksinteressen ließen das Sprung-