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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0152
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II. 2. Das Finanzpatent.

einem strengeren Rechtsstudium verpflichtet, machten eine rühmliche Aus-
nahme und waren mit dem Wesen des römischen Rechtes besser vertraut.
Daß aber der Advocatenstand im Durchschnitte schärfere Iuristen zählte,
als der Richterstand, trug zur Hebung des Rechtsbewußtseins keineswegs
bei. In der ersten Periode der Wirksamkeit des neuen Civilgesetzes wa-
ren natürlich alle Gerichtshöse noch mit Richtern besetzt, welche aus der
Schule des römischen Rechtes hervorgegangen den im bürgerlichen Gesetz-
buche so bemerkbaren Mangel an suristischer Präcision durch ihre schar-
sen romanistischen Auslegungcn einigermaßen entsernten; desto fühlbarer
wurde dieser Mangel, als allmälich die Gerichtshöfe erster Jnstanz dnrch
Richter der neuen Schule, unbedingte Anbeter des neuen Codex, besetzt
wurden. Eine Zeit lang bliebeu noch die Appellhöfe Schutz und Schirm
gegen die unklare und unjuristische Auslegung und Handhabung des Ge-
setzes bei den ersten Instanzen. Aber auch hier starben endlich die Ro-
manisten aus; nur bei den greisen Richtern des obersten Gerichtshofes
erhielt sich noch bis in die dreißiger Jahre hinein eine präcisere Rechts-
anschauung. Nachdem aber gegen die gleichlautenden Urtheile zweier Jn-
stanzen keine Berufung mehr ergrisfen werden durfte, fand der oberste
Gerichtshof nur selten Gelegenheit, reformirend dazwischen zu treten, und
endlich starb auch hier das scharse Juristenthum aus.

Nicht genug daran, daß seit der Giltigkeit des bürgerlichen Gesetz-
buches der rechte Weg zur Förderung des wissenschaftlichen Rechtsbewußt-
seins versperrt wurde, es wurde ein eutschieden falscher und verderb-
licher eingeschlagen. Jn demselben Grade, wie die Aufklärung die Ge-
bundenheit an historische Begriffe haßte, fühlte sie sich zur sreien Spe-
culation hingezogen. Das römische Recht sank, das Naturrecht stieg im
Werth. Ausdrücklich wurde von den Verfassern des bürgerlichen Gesetz-
buches das Naturrecht als Subsidiarrecht aufgestellt, nach dessen Grund-
sätzen Alles, was im positiven österreichischen Civilrecht unklar und zwei-
felhaft erscheine, ausgelegt werden müsse. Der an und für sich schon
bedenkliche Vorgang mußte bei dem traurigen Schicksal, welches die rechts-
philosophischen Studien wie alle anderen Disciplinen unter Kaiser Franz
erlitten, dem ganzen Rechtsleben zu vollständigem Verderben gereichen.
Abgeschnitten von der Gedankenbewegung im westlichen Europa waren
die österreichischen Naturrechtslehrer durchaus unfähig, streng allgemeine
Begriffe zu fassen, noch viel weniger waren sie im Stande, ihre Lehren
an ein bestimmtes neueres philosophisches System anzulehnen. Nach
einer weithin gangbaren Ansicht beschränkte sich ihre Aufgabe darauf,
die positiven Sätze des bürgerlichen Gesetzbuches in eine abstracte Form
zu bannen, und auf diese Weise die Unübertrefflichkeit derselben zu
beweisen. So wenig achtete man später in Oesterreich die Rechtsphilo-
sophie, daß ein Lehrer der Statistik, wegen einer harmlosen Aeußerung
über Polen verdächtigt, zum Prosessor des Naturrechtes degradirt werden
 
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