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Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0151
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Das bürgerliche Gesetzbuch.

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Ehe zwischen israelitisch getrauten, erst später getaufteu Eheleuteu ohue
nachträgliche priesterliche Einseguuug als Christenehe zu Rechte bestehend,
regelt überhaupt das Eheverhältuiß ganz abgeseheu von kirchlicheu Din-
gen. Den Einfluß der Auschauungen des vorigen Iahrhuuderts bekuudet
gleichsalls, uud dieses Mal uicht zum Frommen des Werkes, der fiscalische
Standpunkt, von welchem aus das Erbrecht behandelt ist. Die Erbsaditiou
giebt den Erben keineswegs das freie Dispositionsrecht über das Vermö-
gen, der Staat, vou der Aufkläruug als allmächtiges Wesen augesehen,
tritt dazwischen und überantwortet erst mit Uebergehung aller andereu
Erbschaftstitel dem Erben die Vermögenssubstauz. Fiscalisch gesprochen:
Erst nach Berichtiguug aller Erbschaftsgebühreu an den Staatöschatz tritt
der Erbe in sein volles Recht und muß sich bis dahin mit dem Titel des
redlicheu Besitzers beguügeu. Die Uubrauchbarkeit dieser Rechtssiction
erwies sich am deutlichsteu, als im Jahr 4840 die Erbschaftssteuer auf-
gehoben wurde, wodurch natürlich die „ Erbseinautwortuug" ruhte, ein
ganzes Hauptstück des Gesetzbuches außer Kraft gesetzt wurde.

Auch soust lasseu sich schlimme Mängel, Widersprüche und Lückeu im
bürgerlichen Gesetzbuche uachweiseu, so iu der Besitzlehre, wo der Natural-
besitz liegender Güter gänzlich übergaugeu wird, während ihn doch das
wirkliche Leben tagtäglich auerkeuut und das Gesetzbuch selbst iu einem
anderen Kapitel auf denselben zurückkommt; so in der Lehre vou der
Verjährung, dem letzten Hauptstücke des Werkes, wo die flüchtige Hast
der Verfasser, die Sehusucht, ihre Arbeit um jeden Preis zu beendigeu,
deutlich durchblickt. Es scheint beinahe, als wäreu die Verfasser von der
Ahnuug ergriffeu worden, die nächstsolgeude Zeit werde eine gruudsätz-
liche Abneigung als bergendeu Schild ihrer vollkommeneu Uufähigkeit ge-
geu jede gesetzgebeude Thätigkeit zur Schau tragen, und als hätten sie
sich daher beeilt zu retteu, was noch gerettet werden kounte. Sie täusch-
ten sich in ihren Befürchtungen leider nicht; an eine Fortbildung des
Rechtsbewußtseins, selbst uur in der Form wisseuschaftlicher Entwickelung
wurde nicht gedacht, das bürgerliche Gesetzbuch nicht verbessert, soudern
in traurigster Art verstümmelt. Zum Theile trugeu die Verfasser selbst,
weungleich ohue Vorbedacht, die Schuld daran. Den früher glltigen
Souderrechten und Provinzialstatuten diente durchgängig das römische
Recht als Subsidiarrecht, daher auch die Pflege des letzteren an deu hö-
heren Lehranstalten mit großem Eifer betrieben wurde. Bei dem bekaun-
tcn Gegeusatze der Aufklärung gegen die geschichtliche Bildung — uud
das bürgerliche Gesetzbuch hatte „aufgeklärte Anschaunngen" zur Grund-
lage — konnte das Studium des römischen Rechtes auf keiuenSchutz hoffen.
Es wurde vielmehr seit der Veröffentlichung des bürgerlichen Gesetzbuches
und der Errichtung besonderer Lehrkanzeln für die Erklärung des letzteren so
gewaltig in den Hintergrund geschoben, daß dem österreichischen Juristen
nur noch seine Terminologie bekannt blieb. Die Advocaten allein, zu
 
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