Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0281
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Organisation der Lombardei.

27 L

seine Eroberungspläne anf und befahl, um das Schicksal seiner Krone
und seiner Hauptstadt besorgt, den Rückzug.

Auf diesem von Bianchi bei Tolentino geschlagen, von seinen Truppeu
verlassen, von den prahlerischen Verschwörern geflohen, blieb ihm nichts
Anderes übrig, als Abdanlung und Flucht. Sechs Wochen hatte der
Feldzug gewährt, welcher Oesterreichs siegreiche Waffen bis nach NeapeL
führte und den Einsluß des Wiencr Cabinetes über die ganze Halbinses
auödehnen soltte. Die nach Neapel znrückversetzte Dhnastie der Bour-
Lons, des Schutzes ihrer französischen Verwandten bar, mußte sich iu
die Hände ihres Retters überliesern und die Bedingungen desselben ohne
Einrede annehmen. Was das Wiener Cabinel von Murat im Jahre 1814
erwartet hatte, ersüllte Ferdinand IV. im folgenden Jahre, er begab sich
unter die österreichische Vormuudschaft. Die Bildung und Menschlichkeit
hatte derselben augenblicklich Manches zu 'danken; die Gräuelscenen, mit
welchen das legitime Königthum 1799 seinen Einzng gefeiert, blieben
diesesmal Neapel erspart. Die österreichischen Truppen, von englischen
Matrosen wacker unterstützt, hielten die beutelustigen Lazzaroni im Zaume;
durch einen besonderen Staatsvertrag wurde der König zum Vergeben
und Vergessen gezwungen, den Staatsgläubigern und Staatsdienern ihre
Rechte und ihre Stellung gesichert. Dasür mußte Neapel als Gegengabe
seine politische Selbständigkeit opfern und Oesterreich insgeheim das Ver-
sprechen leisten (12. Juni 1815), keine Verfassung einzuführen, keine
Neuerungen zu dulden, welche den alten monarchischen Einrichtungeu
widersprächen oder von den Grundsätzen der lombardischen Verwaltnng
abwichenV) Diese letztere selbst wnrde nun endlich in beschleunigtev
Weise in das Leben eingeführt. Die Folgen der Unsicherheit und Un-
bestimmtheit aller Verhältnisse drohten in dem Augenblicke, wo Murat
an der Grenze stand und alle Unzufriedenen zu seiner Fahne riefp
gefährlich zu werden; so lange die Regierung selbst ihre Absichten nicht
kundgab, konnte die öffentliche Meinnng nicht geleitet, auch keine Strafe
auf das politische Phautasiren gesetzt werden. Daß die Lombardei eine
endgiltige Organisation setzt empsing, verdankte sie der Furcht der Re-
gierung vor Murat's Freiheitsphrasen; ob das Geschenk freilich eines
großen Dankes werth war, darüber mußte der Jnhalt der Verfassung
entscheiden. Es schien, als ob Kaiser Franz sich doch noch zu größeren
Zugeständnissen hätte bewegen lassen. Das oberitalienische Land wurde
zu einem Königreiche erhoben, die Einsetzung eines Vicekönigs versprochen^
der Provinzialregierung sogar eine ständische Repräsentation zur Seite
gestellt. So war ja der Wunsch nach Selbständigkeit und mäßiger Frei-

*) Der geheime Vertrag vom 12. Juni 1815 ist in Neumann's Hecueil nicht
aufgenommen worden. Er wurde 1820 im Ncapolitanischen Parlamente vcröffentlichw
Vgl. A. Allg. Zeitung 1820 S. 1207, 1225.
 
Annotationen