Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Springer, Anton
Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809: in zwei Theilen (Band 1): Der Verfall des alten Reiches — Leipzig, 1863

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.29905#0329
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die langsame JndustrieentwickclunZ.

319

Es giebt nur wenige Staaten, in welchen dieselben eine so große
Unbeweglichkeit ofsenbarten, so langsam ihre natürliche Entwicklung durch-
machten, als in Oesterreich während des geschilderten Zeitraumes. Erst
die Einführung der Accise (1829) brachte der Staatskasse aus dieser
Qnelle reichere Znflüsse nnd hob plötzlich den bis dahin wenig wandel-
baren Ertrag. Da nichts geschah, nm die productivcn Kräste des Reiches
zn stärken, die Regiernng vielmehr, sei es durch positive Schuld, sei es
dnrch Unterlassungssünden dieselben lähmte, so muß es sogar noch Stan-
nen erregen, daß in den Jahren 1820 bis 1829 die jährliche Steigerung
iM' Dnrchschnitte eine Million Gnlden beträgt. Die Landwirthschaft
konnte sich nicht heben, so lange auf den Banergütern die Lasten der
Unterthänigkeit hafteten, die Herrengüter durch die Robot zu einer unge-
snnden Bewirthschaftnng vernrtheilt blieben. Die gewerbliche Thätig-
keit stockte bei dem Mangel an Bildnngsanstatten, bei der einseitigen
Verwendung der großen Capitalien in Staatspapieren und der schlechtcn
Vertheilung des Wohlstandes. Nicht die ungarischen Edelhöfe allein bo-
ten das seltsame Schanspiel unmittelbarer Berührung des raffinirten
Luxus und armseliger Barbarei, nicht hier allein konnte man in öden
weißgetünchten Stuben, deren einzige Zierde ein alter großer Kachelofen
bildete, aus massivem Silbergeschirr die feinsten Leckereien vcrfpeisen, und
nur durch das Vorhandensein eines Wiener Flügels errathen, daß man
sich nicht in einer Schenne, sondern in einem Salon befinde; auch in
den anderen Provinzen, zumal in den slawischen Ländern, stieß man ziem-
lich allgemein aus ergötzliche Contraste der Niederschläge occidentaler
Cultur und der sichtbaren Spitzen selbstgenügsamer östlicher Rohheit, und
man mußte seine Beobachtnngen schon in höhere Standekreise übertra-
gen, um die Harmonie, welche wohlhäbige Bildung in die Zustände nnd
Gewohnheiten bringt, zu erkennen.*) Das Dichten und Trachten der
bürgerlichen Bevölkerung blieb darauf gerichtet, daß der alte Ruhm der
Wohlfeilheit sich bei Oesterreich erhalte, die leibliche Nahrung an Fülle
und Güte nicht verliere; das Uebrige erschien ihr vom Uebel; konnte es
nicht vermißt werden, so war der Jude da, es zu verschafsen. Diesem
blieb überhaupt in den ländlichen Kreisen nnd kleineren Städten der
Handel als Beschäftigung überwiesen, dem „Hausjuden" insbesondere die
Vermittelung der einzelnen Familien mit der Verkehrswelt anvertraut,
sowie der Fortschritt in dem gewerblichen Leben sich vorzugsweise an
norddeutsche Einwanderer kettete. Die langsame Entwickelung der Ge-
werbe, ja der osfenbare Nückgang in einzelnen Zweigen wird auch in den
Berichten regierungSfrenndlicher Männer aus jenen Jahren zugegeben,

Nicht cinmal die Reste der Bekleidung in den östlichen Provinzen konnten als
Hadern bei der Papierfabrikation verwendet werden, so schlimm hatte (nach osficiosen
Berichten) die herrschende Unreinlichkeit mit dem ursprünglichen Stoffe gespielt.
 
Annotationen