324
IV. I. Der ungarische Reichstag >825.
und der Nation vergessen. Aber kanm war Napoleons drnckende Herr-
schast über Enropa zurückgedrängt und den einzelnen Staaten und Völ-
kern ihre sreie Selbstbestimmung wiedergegeben, so tvnrde auch in Ungarn
die Erinnernng an das erlittene Unrecht lebendig, der Verfassungskamps
wieder ausgenommen. Das Wiener Cabinet befreite sich von der wider-
wärtigen Opposition des Reichstages in Preßburg, indem es seine Einbe-
rufung aus eine unbestimmte Zeit verschob, gewann aber nichts Anderes
dadurch, als daß in jedem Comitate auf den Generalcongregationen, wo
jeder ansässige Adeliche Sitz nnd Stimme hatte, Landtag gespielt und mit
härteren Fäusten die Maßregeln der Regierung angegriffen wurden.
Wie in der Josephinischen Periode, so hielt anch jetzt Ungarn seinen
Gegnern den festen Schild seiner Municipalfreiheiten entgegen und bilde-
ten die Comitatsversammlungen den Mittelpunkt der politischen Bewe-
gung. Da die Comitate nicht allein die Befugniß besaßen, die Anord-
nungen der Regierung dnrch ihre Einsprache — die sogenannten Reprä-
sentationen — zu hemmen, sondern anch dnrch die freigewählten Beamten
die eigentliche Verwaltung in den Händen hielten*), so stieß hier in der
That der Hof auf keine verächtliche Gegenmacht. Sie wnrde von so zahl-
reichen Personen getragen, daß Bestechung und Schmeichelkünste keinen
Eingang fanden, und verlor sich in viel zu entlegene Kreise, als daß die
Regicrung einen unmittelbaren Druck in nachhaltiger Weise hätte aus-
üben können. Die traurigen Erfahrungen Kaiser Josephs, die Nieder-
lage, welche dieser im Kampfe gegen die Munieipalfreiheiten Ungarns er-
litt, schreckten den Neffen nicht ab. Absolute Herrscher lernen nichts von
der Ersahrung, sie meinen immer nur, Mangel an Kraft hätte den Vor-
gänger znr Nachgiebigkeit gegen den fremden Willen gezwungen, die Kraft-
fülle aber glauben sie nach ihrer ganzen Natur stets im höchsten Grade
zu besitzen. Auch hielt Kaiser Franz sein Spiel für ungleich gesicherter,
da er nicht wie Kaiser Joseph durch Neuernngen, durch positive Aende-
rungen der Verfassung die Leidenschaften des Volkes zum Widerstande
reizte, sondern nur einen Stillstand des constitutionellen Lebens eintreten
ließ und auf eine allmäliche Abstnmpfung der politischen Jnteressen rech-
nen durfte. Er sollte die Ueberzeugung gewinnen, daß Zähigkeit zu den
bestimmenden Merkmalen des ungarischen Volkscharakters gehört und daß
es eine viel geringere Mühe kostet, eine Nation, welche die Genüsse reiser
Bildung kennt und liebt, in den Zustand politischer Abspannung zu ver-
*> Einc authentische Darstellung der Einrichtung und Befugnisse der ungarischen
Comitate liefert Eziraky in seinem 6ou8p6elu8 guris xubliei U. Uun^giiao tom. II. cgp. V.
x. 210: ele xoliticg Oomitgtuum gclmini^trgtions. Ein auschauliches, wenn auch mit
starken Farben aufgetragenes Bild von dem Leben und Treiben der Ungarn in den Co-
mitatsversammlungen und dem Wesen der ungarischen Municipalverfassung gewinnt
man aus dem bekannten Romane: „Der Dorfnotar" von Eötvös.
IV. I. Der ungarische Reichstag >825.
und der Nation vergessen. Aber kanm war Napoleons drnckende Herr-
schast über Enropa zurückgedrängt und den einzelnen Staaten und Völ-
kern ihre sreie Selbstbestimmung wiedergegeben, so tvnrde auch in Ungarn
die Erinnernng an das erlittene Unrecht lebendig, der Verfassungskamps
wieder ausgenommen. Das Wiener Cabinet befreite sich von der wider-
wärtigen Opposition des Reichstages in Preßburg, indem es seine Einbe-
rufung aus eine unbestimmte Zeit verschob, gewann aber nichts Anderes
dadurch, als daß in jedem Comitate auf den Generalcongregationen, wo
jeder ansässige Adeliche Sitz nnd Stimme hatte, Landtag gespielt und mit
härteren Fäusten die Maßregeln der Regierung angegriffen wurden.
Wie in der Josephinischen Periode, so hielt anch jetzt Ungarn seinen
Gegnern den festen Schild seiner Municipalfreiheiten entgegen und bilde-
ten die Comitatsversammlungen den Mittelpunkt der politischen Bewe-
gung. Da die Comitate nicht allein die Befugniß besaßen, die Anord-
nungen der Regierung dnrch ihre Einsprache — die sogenannten Reprä-
sentationen — zu hemmen, sondern anch dnrch die freigewählten Beamten
die eigentliche Verwaltung in den Händen hielten*), so stieß hier in der
That der Hof auf keine verächtliche Gegenmacht. Sie wnrde von so zahl-
reichen Personen getragen, daß Bestechung und Schmeichelkünste keinen
Eingang fanden, und verlor sich in viel zu entlegene Kreise, als daß die
Regicrung einen unmittelbaren Druck in nachhaltiger Weise hätte aus-
üben können. Die traurigen Erfahrungen Kaiser Josephs, die Nieder-
lage, welche dieser im Kampfe gegen die Munieipalfreiheiten Ungarns er-
litt, schreckten den Neffen nicht ab. Absolute Herrscher lernen nichts von
der Ersahrung, sie meinen immer nur, Mangel an Kraft hätte den Vor-
gänger znr Nachgiebigkeit gegen den fremden Willen gezwungen, die Kraft-
fülle aber glauben sie nach ihrer ganzen Natur stets im höchsten Grade
zu besitzen. Auch hielt Kaiser Franz sein Spiel für ungleich gesicherter,
da er nicht wie Kaiser Joseph durch Neuernngen, durch positive Aende-
rungen der Verfassung die Leidenschaften des Volkes zum Widerstande
reizte, sondern nur einen Stillstand des constitutionellen Lebens eintreten
ließ und auf eine allmäliche Abstnmpfung der politischen Jnteressen rech-
nen durfte. Er sollte die Ueberzeugung gewinnen, daß Zähigkeit zu den
bestimmenden Merkmalen des ungarischen Volkscharakters gehört und daß
es eine viel geringere Mühe kostet, eine Nation, welche die Genüsse reiser
Bildung kennt und liebt, in den Zustand politischer Abspannung zu ver-
*> Einc authentische Darstellung der Einrichtung und Befugnisse der ungarischen
Comitate liefert Eziraky in seinem 6ou8p6elu8 guris xubliei U. Uun^giiao tom. II. cgp. V.
x. 210: ele xoliticg Oomitgtuum gclmini^trgtions. Ein auschauliches, wenn auch mit
starken Farben aufgetragenes Bild von dem Leben und Treiben der Ungarn in den Co-
mitatsversammlungen und dem Wesen der ungarischen Municipalverfassung gewinnt
man aus dem bekannten Romane: „Der Dorfnotar" von Eötvös.