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https://doi.org/10.11588/diglit.3882#0203
V.
Michelangelo in Florenz.
chwerlich ahnte Michelangelo, als er im Sommer 1516 nach
Carrara ging, um hier Marmorsteine für das Grabmal Julius’II.
brechen und herrichten zu lassen, dass beinahe zwei Jahrzehnte
verstreichen würden, ehe er wieder nach Rom zurückkehrte.
Bei dem Ueberblicke seines Lebens erscheinen diese langen
Jahre nahezu als eine Zeit der Verbannung. Florenz war zwar Michel-
angelos Heimat, in seiner Natur sollen sich sogar altetruskische Züge,
das Herbe, das Wuchtige vererbt haben. Trotzdem blieb Rom allein
die rechte Stätte seiner Thätigkeit. Hier allein führt die Einsamkeit
nicht zu finster verschlossenem Wesen, denn auch der Einsamste kann sich
den unerschöpflich reichen Anregungen der Antike nicht entziehen, am
wenigsten ein Bildhauer. In Rom stand für Michelangelo ein würdiger
Wettkampf in Aussicht, während ihn nach Florenz nur elender Klatsch
verfolgte, der ihn über die Dinge in Rom gar schlecht denken und doch
mit der eigenen Verlassenheit in den Steinbrüchen von Carrara und
Seravezza unzufrieden machte. In Rom allein endlich wurden die localen
und persönlichen Einssüsse durch die unbezwingbare Macht der Verhält-
nisse von selbst in den Hintergrund gedrängt. Der Wunsch des Papstes,
die Kunst im höfischen und persönlichen Diensle zu verwenden, hemmte
wohl vielfach Raffael s Wirken. Schliesslich wurde solchem Gelüste doch
immer die Spitze abgebrochen und die Kunst in ideale Geleise zurück-
geleitet. Das war weniger Raffaels als Roms Verdienst, wo eben jedes
Werk unwillkürlich den Zug in das Grosse und Allgemeine empfing.
Der Titel, welchen Michelangelo in dieser Zeit führte: »archimaestro
scultore de la sedia apostolica« wäre in Rom unverfänglich gewesen;
in Florenz dagegen bedeutete er die unmittelbare Abhängigkeit von der
Familie Medici. In den Beziehungen zu den Medici lag aber der Keim
zu den Icliweren Conssicten, welche sein ganzes späteres Leben vergisteten
13*
Michelangelo in Florenz.
chwerlich ahnte Michelangelo, als er im Sommer 1516 nach
Carrara ging, um hier Marmorsteine für das Grabmal Julius’II.
brechen und herrichten zu lassen, dass beinahe zwei Jahrzehnte
verstreichen würden, ehe er wieder nach Rom zurückkehrte.
Bei dem Ueberblicke seines Lebens erscheinen diese langen
Jahre nahezu als eine Zeit der Verbannung. Florenz war zwar Michel-
angelos Heimat, in seiner Natur sollen sich sogar altetruskische Züge,
das Herbe, das Wuchtige vererbt haben. Trotzdem blieb Rom allein
die rechte Stätte seiner Thätigkeit. Hier allein führt die Einsamkeit
nicht zu finster verschlossenem Wesen, denn auch der Einsamste kann sich
den unerschöpflich reichen Anregungen der Antike nicht entziehen, am
wenigsten ein Bildhauer. In Rom stand für Michelangelo ein würdiger
Wettkampf in Aussicht, während ihn nach Florenz nur elender Klatsch
verfolgte, der ihn über die Dinge in Rom gar schlecht denken und doch
mit der eigenen Verlassenheit in den Steinbrüchen von Carrara und
Seravezza unzufrieden machte. In Rom allein endlich wurden die localen
und persönlichen Einssüsse durch die unbezwingbare Macht der Verhält-
nisse von selbst in den Hintergrund gedrängt. Der Wunsch des Papstes,
die Kunst im höfischen und persönlichen Diensle zu verwenden, hemmte
wohl vielfach Raffael s Wirken. Schliesslich wurde solchem Gelüste doch
immer die Spitze abgebrochen und die Kunst in ideale Geleise zurück-
geleitet. Das war weniger Raffaels als Roms Verdienst, wo eben jedes
Werk unwillkürlich den Zug in das Grosse und Allgemeine empfing.
Der Titel, welchen Michelangelo in dieser Zeit führte: »archimaestro
scultore de la sedia apostolica« wäre in Rom unverfänglich gewesen;
in Florenz dagegen bedeutete er die unmittelbare Abhängigkeit von der
Familie Medici. In den Beziehungen zu den Medici lag aber der Keim
zu den Icliweren Conssicten, welche sein ganzes späteres Leben vergisteten
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