Die mykemsche Kunst in Stcin und Metnll.
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Stärkere Anklänge an die asiatische (phrygische) Kunst weist das älteste grvßere Skulptur-
werk auf griechischem Boden, das Löwenthor zu Mykenae (Fig. 92) auf. Jn dem ausgesparten
Dreieck über der mächtigen Oberschwelle des Thores erheben sich zwei Löwcn, cinst mit dem
Kopfe gegen den Beschaner gewendet, mit den Vorderfiißen auf dem Unterbau der mittleren
Säule aufruhend. Aber schon die Wahl der Sänle an Stelle des Kegels, Obelisken oder
heiligen Baumes, sodann die Gestalt der Säule, ferncr die gute Anpassung des Bildwerkes
an den architektonischen Raum, das Durchschimmern der Naturbeobachtung in den Tierkörpern legen
Zeugnis ab von dem zugleich auf das Lebensvolle und Maßvolle gerichteten Sinne des Künstlers.
Die Steinwerke stehen weit zurück gegen die Metallarbeiten. Recht Primitiv, getriebene
Metallbleche nachahmend, erscheint z. B- die Grabstele zu Mykenae (Fig. 93), währcnd der aus
Silber und verschieden gefärbtem Gold eingclegte Schmnck an einigen ebendort ausgegrabenen
Dolchklingen (Fig. 94) nicht blos durch die technische Vollendung, sondern auch durch die
frische Naturwahrheit überrascht. Die Bewegungen der Löwen und der sie verfolgenden Jäger
sind nbertrieben, jedoch immer charakteristisch und halten im Gegensatze zum ticferen Orient
alles Konventionelle fern. Das Gleiche gilt von den sehr kräftig durchgebildeten Reliefs zweier
goldenen Becher, die in einem Kuppelgrabe bei Vaphio (Amyklae?), südlich von Sparta zum
Vorschein gckommen sind. Jn lebendiger Darstellnng schildert der eine Becher vier friedlich
weidende Rinder mit ihrem Hirten, der andere als Gcgcnbild das Einfangen wilder Stiere in
einem Netz und die damit fnr die Verfolger verbnndenen Gefahren; namentlich der im Netz sich
überschlagende Stier zeigt ein sehr kühnes, freilich auch nicht ganz gelungenes Motiv (Fig. 95).
Von ähnlicher Naivetät der Auffassung zeugen die Neste einer Wandmalerei in Tiryns; sie stellen
einen im wilden Rennen begriffenen Stier dar, über dessen Rücken cin Mann springt; eine
kindliche Weise, ihn als ini Hintergrnnd dem Stiere nachsetzend zu bezeichnen. Freude an der ge-
Springer. Kimstgeschichtc. I. 8
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Stärkere Anklänge an die asiatische (phrygische) Kunst weist das älteste grvßere Skulptur-
werk auf griechischem Boden, das Löwenthor zu Mykenae (Fig. 92) auf. Jn dem ausgesparten
Dreieck über der mächtigen Oberschwelle des Thores erheben sich zwei Löwcn, cinst mit dem
Kopfe gegen den Beschaner gewendet, mit den Vorderfiißen auf dem Unterbau der mittleren
Säule aufruhend. Aber schon die Wahl der Sänle an Stelle des Kegels, Obelisken oder
heiligen Baumes, sodann die Gestalt der Säule, ferncr die gute Anpassung des Bildwerkes
an den architektonischen Raum, das Durchschimmern der Naturbeobachtung in den Tierkörpern legen
Zeugnis ab von dem zugleich auf das Lebensvolle und Maßvolle gerichteten Sinne des Künstlers.
Die Steinwerke stehen weit zurück gegen die Metallarbeiten. Recht Primitiv, getriebene
Metallbleche nachahmend, erscheint z. B- die Grabstele zu Mykenae (Fig. 93), währcnd der aus
Silber und verschieden gefärbtem Gold eingclegte Schmnck an einigen ebendort ausgegrabenen
Dolchklingen (Fig. 94) nicht blos durch die technische Vollendung, sondern auch durch die
frische Naturwahrheit überrascht. Die Bewegungen der Löwen und der sie verfolgenden Jäger
sind nbertrieben, jedoch immer charakteristisch und halten im Gegensatze zum ticferen Orient
alles Konventionelle fern. Das Gleiche gilt von den sehr kräftig durchgebildeten Reliefs zweier
goldenen Becher, die in einem Kuppelgrabe bei Vaphio (Amyklae?), südlich von Sparta zum
Vorschein gckommen sind. Jn lebendiger Darstellnng schildert der eine Becher vier friedlich
weidende Rinder mit ihrem Hirten, der andere als Gcgcnbild das Einfangen wilder Stiere in
einem Netz und die damit fnr die Verfolger verbnndenen Gefahren; namentlich der im Netz sich
überschlagende Stier zeigt ein sehr kühnes, freilich auch nicht ganz gelungenes Motiv (Fig. 95).
Von ähnlicher Naivetät der Auffassung zeugen die Neste einer Wandmalerei in Tiryns; sie stellen
einen im wilden Rennen begriffenen Stier dar, über dessen Rücken cin Mann springt; eine
kindliche Weise, ihn als ini Hintergrnnd dem Stiere nachsetzend zu bezeichnen. Freude an der ge-
Springer. Kimstgeschichtc. I. 8