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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0061
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Natürlich wurde auch ein Exemplar an den großen Freund nach Rom gesandt,
der mit einem ziemlich geschraubten Sonett mehr feierlich, als warm seinen
Dank abstattete1. Überhaupt hat sich ein intimeres Verhältnis zwischen den
beiden äußerst langsam angebahnt. Michelangelo erkannte und schätzte die unge-
heuren Lebensenergien, die sich in Vasari verkörperten, aber der unterwürfige
und betriebsame Diener Cosimos I. war ihm an sich wenig sympathisch, und
über seine Kunst, wie z. B. über die Fresken in der Cancelleria soll sich Michel-
angelo gelegentlich ein abfälliges Urteil erlaubt haben. Eine unverbürgte Tradi-
tion berichtet überdies, Michelangelo habe Vasari einen Schwätzer genannt2, bis
er dann wohl erkannte, welche ungeheuren Arbeitslasten dieser Mann zu tragen
verstand. So wurde sein Urteil allmählich milder, und er bezeichnete wohl den
Aretiner als seinen besonderen Freund. Wie aber hat Vasari den Florentiner
Landsleuten gegenüber, vor allem aber vor Cosimo I., diese Freundschaft aus-
zumünzen versucht!3 Wir verdanken diesem Bestreben, sich der Welt gegenüber
als den Intimsten der Intimen Michelangelos darzustellen, manches aufschluß-
reiche Detail, manche sonst ewiger Vergessenheit anheimgefallene Szene aus dem
häuslichen Leben des Einsiedlers am Macell de’ Corvi. So beschreibt Vasari ein-
mal höchst eindrucksvoll einen nächtlichen Besuch bei Michelangelo. Von
Julius III., Michelangelos besonderem Gönner, gesandt, um eine Zeichnung
abzuholen, klopfte Vasari eines Abends spät an Michelangelos Haustür, der ihn
an der Art seines Klopfens erkannte, und seine Handlaterne ergriff, den späten
Besucher einzulassen. Nachdem Vasari sein Anliegen vorgetragen hatte, sandte
Michelangelo Urbino nach oben, die Zeichnung zu suchen. Die Augen Vasaris
aber richteten sich wie gebannt auf die große Pieta des Meisters, an der er
eben aufgehört hatte, zu arbeiten. Michelangelo aber, als- er die neugierigen
Blicke seines Gastes bemerkte, ließ die Laterne fallen, trat aus dem Verschlage,
in dem sich die Pieta befand, heraus, schloß die Tür und rief nach Urbino, ein
Licht zu bringen. Dann sagte er sinnend: „Ich bin so alt geworden, daß ich schon
oft die Hand des Todes fühle, die nach mir greift. Und eines Tages wird das Licht
meines Lebens erlöschen wie das Licht dieser Laterne, die eben zu Boden fiel.“4
Noch im Jahre 1560, als Vasari mit dem Kardinal Giovanni de’ Medici, der
endlich die Aussöhnung der Strozzi mit den Medici anbahnen sollte, in Rom
1 Vasari hat dieses Sonett in seiner Lebensbeschreibung Michelangelos abgedruckt. Ed. Milanesi VII, p. 229.
K. Frey, Dichtungen, p. 227 und 479.
’ Anmerkungen von Lodovico Caracci zu Vasaris Vita Michelangelos im Codex Vat. Cap. 231 p. 228: „Michel-
angelo l’havcva per un chiacchiarino.“
3 K.Frey, Vasari, Lit. Nachlaß I,p. 558. Vasarian V. Borghini: „sono ognidlcon Michelagniolo.“ „Nonmancarono
giornalmente l’uno all’altro scriversi“ behauptet Vasari im Leben Michelangelos, dem er im März 1563 seine Wahl
zum zweiten Präsidenten der Florentiner Accademia del disegno mitteilt. Vgl. Vasari, ed. Bottari III, p 78 und 92,
ed. Milanesi VIII, p. 366. Gaye, Carteggio III, p. 81.
1 Vasari, ed. Milanesi VII, p. 281/2.

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