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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0063
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eine Sammlung von Sonetten und Madrigalen Michelangelos für den Druck
fertiggestellt hatte. Ein jäher Tod sollte ihn an allen weiteren Unternehmungen
verhindern1.
Was endlich Raffaello Borghini in seinem Riposo über Michelangelo zu berichten
weiß, ist nichts anderes, als eine ziemlich abgeblaßte Wiederholung alles dessen,
was schon Vasari und Condivi aufgezeichnet hatten. Außerdem erschien dieses
Buch erst zwanzig Jahre nach dem Tode Michelangelos, im Jahre 15 84. Immer-
hin finden sich aber auch hier einige neue Angaben über Michelangelo und seine
Werke, die uns vor allem zeigen, wie schnell sich die Legende des Meisters nach
seinem Tode bemächtigt hat2.
„Die Größe Michelangelos“, so stellt es Vasari nicht ohne eine gewisse Feier-
lichkeit fest, „ist schon von seinen Zeitgenossen bei seinen Lebzeiten erkannt
worden, und nicht erst, wie es meistens zu geschehen pflegt, nach seinem Tode.“
Eine der schönsten Eigenschaften des italienischen Nationalcharakters, die Fähig-
keit, menschliche Größe neidlos und bewundernd anzuerkennen, hat sich an
ihm aufs glänzendste geoffenbart. Hat doch sogar eine so selbstgefällige, vom
Ehrgeiz zerfressene und Gott und alle Welt mit hämischem Neide verfolgende
Natur, wie Baccio Bandinelli, vor Michelangelos Größe halt gemacht, sich seiner
Anerkennung zu freuen versucht und seinen Tadel ohne Widerspruch hinge-
nommen, weil er, wie er selbst in seinem Memoriale schreibt, erkannte, daß
Michelangelos Urteil mehr als jedes andere Urteil wert war, nicht nur weil es
der tiefsten Erkenntnis entsprang, sondern auch weil es frei war von jeglicher
Absicht, zu schaden und wehe zu tun. Das hinderte ihn allerdings nicht, bei Ge-
legenheit von Michelangelo ebenso schlecht zu reden, wie von allen anderen
Menschen auch. Ja, man erzählte sich in Florenz, Bandinelli habe aus Neid
Michelangelos Schlachtkarton im Palazzo Vecchio zerstört3.
Äußerst merkwürdig und bezeichnend für die Zerrissenheit Italiens im Cinque-
cento, in dem sich jeder Einzelstaat, und wäre er noch so klein, wie eine Welt
für sich zu behaupten wußte, ist der Umstand, daß der literarische Ruhm Michel-
angelos noch in seinem ganzen eigenen Jahrhundert vor allem eine Florentiner
Angelegenheit geblieben ist. Wenn auch in Rom und in Venedig seine Person und
seine Werke schon verhältnismäßig früh Gegenstand öffentlicher Diskussionen
wurden, so ist dies vor allen Dingen den Florentiner Verbannten zuzuschreiben,
die gerade in diesen beiden Städten eine Zuflucht gesucht und gefunden hatten.
1 Im Schlußkapitel (LX, ed. d’Ancona, p. 202) heißt es: „Spero tra poco tempo dar fuori alcuni suoi sonetti e
madrigali, quali io con lungo tempo ho raccolti si da lui si da altri.“
2 Steinmann-Wittkower, p. 45.
3II memoriale di Baccio Bandinelli, herausgegeben von Arduino Colasanti im Repert. f. Kunstwissenschaft
XXXVIII (1903), p. 434. Bottari, Lett. pitt. I. p. 50, 71, 74, 100. Vasari VI, p. 137 und 168. W. Köhler,
Michelangelos Schlachtenkarton im Kunstgeschichtl. Jahrb. d. Zentral-Kommission 1907, p. 118.

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