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32

VI.

Mittelalterliche Technik und moderne Restauration

Vortrag gehalten in der Ausstellung der Denkmalpflege 1905 in Strassburg
von J. Knauth, Münsterbaumeister.

Der grössere Teil der berufenen, bei
verschiedenen weitergehenden Fragen sich
allerdings bisweilen schroff gegenüber stehen-
den Kenner unserer alten Bauwerke ist sich
wohl darüber vollständig einig, dass im wohl-
verstandenen Interesse des Denkmals ein
Restaurieren im Sinne der Instandhaltung
und Instandsetzung des Vorhandenen un-
bedingt erforderlich und gar nicht zu um-
gehen ist. Ein nicht unterhaltenes Bauwerk
würde bald eine Ruine sein. Auf die Frage,
wie weit sich eine Restauration auch auf
den Ausbau, die konstruktive Erneuerung
ganzer fehlender oder vollständig verschwun-
dener Bauteile zu erstrecken habe, will
ich mich hier nicht einlassen, mich vielmehr
auf die aus einer rein technischen Pflege des
anvertrauten Bauwerks notwendiger Weise
folgernden Fragen beschränken.

Diese Fragen zu beantworten ist um so
wichtiger, als derartige Aufgaben bei der
grossen Zahl hilfsbedürftiger Bauwerke täg-
lich gestellt werden, und leider im Laufe der
Jahre fast ebensoviel, wenn nicht noch mehr
durch unverstandene Restauration, wie durch
die zerstörenden Einflüsse der Witterung
unrettbar verloren gegangen ist.

Der weitaus grösste und wichtigste Teil
der uns überkommenen historischen Denk-
mäler sind Bauwerke aus dem Mittelalter,
der romanischen und gotischen Epoche, dieser
grossen, vielgeschmähten und vielbewunderten
und heute noch so wenig verstandenen Zeit,
deren Riesenwerke heute noch von Vielen
wohl instinktiv bewundert werden, ohne dass
dieselben jedoch das rechte Verständnis da-
für zu gewinnen im Stande sind.

Und doch war es bereits vor mehr als
einem Jahrhundert Göthe, dessen feinfühligem
Geist hier vor der Fassade des Strassburger
Münsters eine neue künstlerische Offenbarung
wurde. Man lese die Schilderung Göthe’s,

wie, nachdem er immer wieder zum Münster
zurückgekehrt, sich ihm allmählig in leisen
Ahnungen der Geist der alten Werkmeister
offenbarte, wie ihm, dem unter Tadlern der
gotischen Bauweise Aufgewachsenen, doch
schliesslich das volle Verständnis für die sieg-
reiche Harmonie zwischen Bedürfnis und
Zweck und der ästhetischen Ausgestaltung
des Bauwerks kund wurde.

Es ist zu verstehen, dass man nur not-
gedrungen und nur um Schlimmeres zu ver-
hüten, an die Restauration eines mittelalter-
lichen Bauwerks herantritt. Den Architekten,
denen doch naturgemäss im Hinblick auf
den technischen Charakter einer solchen
Arbeit die Ausführung der Restauration an-
vertraut werden muss, wirft man sehr oft
vor, dass sie zu gerne etwas Neues schaffen
zum Nachteil des zu erhaltenden, dass durch
ihre Arbeit am ersten der Charakter des
Alten verwischt, dem Bauwerk der Wert
als Urkunde genommen wird. Ich möchte in
diesem Punkte doch meine Leidensgefährten
in Schutz nehmen, ja ich möchte behaupten,
dass eine grössere Verehrung des uns Über-
lieferten bei keinem andern Beruf gefunden
werden kann, da wir doch am ersten den
Wert des Alten zu schätzen wissen, und ab-
gesehen von einem kleinen Häuflein von
Kunstanarchisten wohl erkennen und be-
kennen, dass unsere Kunst einzig und allein
mit ihren Wurzeln in den Werken unserer
Vorahnen gegründet ist. Und weil wir dies
Verständnis für den Wert des Alten haben,
werden wir dem Alten auch jederzeit mit der
grössten Schonung begegnen, den Meissei
nur da anlegen, wo dies unbedingt erforder-
lich ist, anderseits allerdings gegebenenfalls
auch, wenn dies im Interesse des Gesamt-
organismus sein sollte, vor einer grösseren
Operation nicht zurückschrecken.

Die sich dem restaurierenden Architekten
 
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