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Bauhütten, dieser Pflanzstätten der mittelalter-
lichen Baukunst erforderlich.

Die Bauhütte, eine Vereinigung von
Werkleuten, speziell Steinmetzen, ist eine
Eigentümlichkeit des gotischen Baustiles»
welcher mit seinen — fortgeschrittenes techni-
sches Können und infolge dessen systemati-
sche Schulung — erfordernden Riesenbauten
die Organisation grösserer Baukorporationen
notwendig machte. Das Ende, der Verfall
des gotischen Stiles, das Eindringen der
welschen Renaissance, die Glaubensspaltung
sind die Ursachen auch des Endes der Bau-
hütten.

Nachdem das Christentum in Deutsch-
land allenthalben festen Fuss gefasst hatte,
und sich bald die Notwendigkeit heraus-
stellte, demselben durch die Erbauung von
Kirchen auch äussere Gestaltung zu geben,
bildeten sich zu diesem Zweck an den zahl-
reich im Lande vorhandenen Benediktiner-
klöstern Baugenossenschaften, so in St. Gallen,
Corvey, St. Emeram, Hirschau und anderen.
Wie alle Wissenschaften und Künste hinter
den geweihten Mauern dieser Klöster Schutz-
und Pflegstätte fanden, Maler, Bildhauer und
Goldschmiede aus denselben hervorgingen,
wurde auch das Studium der Architektur
und Geometrie mit Vorliebe gepflegt. Die
Ausführung der vielen Kloster- und Kirchen-
bauten lag, geleitet durch einen der beson-
ders sachverständigen und kunstsinnigen
Mönche, in den Händen der Baugenossen-
schaften, geschulten Laienbrüdern, den Con-
versi und Oblati, die, für sich organisiert,
bisweilen für grössere Bauausführungen an
andere Orte, oft in ferne Länder ausgesandt
wurden.

Bis in’s zehnte Jahrhundert herrschte für
Kloster und Kirche der Holzbau vor. Nur
in seltenen Fällen wird ein derartiges Bau-
werk in massiver Steinkonstruktion aus-
geführt. Die Bauhütte bestand also der Mehr-
zahl nach aus Zimmerleuten und Maurern;
Steinmetzen waren natürlich keine vorhanden
und kann deshalb auch von einem Vergleich
mit den späteren gotischen Bauhütten keine
Rede sein.

Mit dem Auftreten des romanischen Stiles,
als sich nach dem Jahrhunderte langen Ver-

schmelzungsprozess der römischen und ger-
manischen Kultur endlich ein nationaler Stil
zu bilden begann, wurden die Kirchenbauten
allmählig mehr und mehr in dauerhafter, den
Unbilden der Witterung und fehdelustigen
Nachbarn grösseren Widerstand bietender
massiver Konstruktion hergestellt. Aber selbst
dann, als man anfing, die Kirchen in grösseren
Dimensionen zu errichten, als die flachen
Decken der Schiffe durch Gewölbe ersetzt,
die Mauerflächen durch Gesimse und Friese
belebt wurden und infolge dessen geschulte
Steinmetzen nötig wurden, verblieb der Haupt-
anteil am Werk dem Maurer und nicht dem
Steinmetz. Erst mit dem XII. Jahrhundert,
als man das ganze Gebäude in Quaderwerk
auszuführen begann, die Gewölbe mit profi-
lierten Rippen, Friese, Rundbögen u. dergl.
mit reichem geometrischem und pflanzlichem
Schmuck überzogen wurden und besonders,
nachdem mit dem Einzug des gotischen Stiles
die schwerfälligen Mauermassen mehr und
mehr verschwanden, reichgeschmückte Kapi-
tale und Friese, Fiale und Wimperg und
Masswerk den geübten Meissei des Küustlers
verlangten, da bildeten Steinmetzen die Mehr-
zahl in der Bauhütte. Die ausgebildetere
Technik der Gotik verlangte eine verändertere
Schulung aller Arbeiter. Die Bautätigkeit
wuchs und damit auch die Zahl der aus
dem Laienstand entnommenen Werkleute,
bis schliesslich die Bauhütte selbst ganz weltlich
geworden war und nach klösterlicher Art
organisiert von Ort zu Ort zur Ausführung
grösserer Kirchengebäude wanderte. Mit der
Zeit machte die Erbauung der riesigen, in
ihrer Bauzeit weit über die normale mensch-
liche Lebensdauer hinausreichenden grossen
Kathedralen die Bauhütten ansässig, und dem
Zeitgebrauch entsprechend, war es nahe-
liegend, dass die gemeinsamen Arbeitszielen
dienenden verschiedenen Bauhütten eines
Landes sich zusammenschlossen. Die Brüder-
schaft der deutschen Steinmetzen war denn
auch während des ganzen Mittelalters ein
mächtiger, von Fürst und Volk geschätzter
und von Kaiser und Papst anerkannter und
mit Privilegien bedachter Bund, der seine
eigene Gerichtsbarkeit hatte. Die sämtlichen
Mitglieder des Bruderbundes, die kleineren
 
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