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V4

II. Thomasm von Zerclaere.

form, die sich vollständig und ausschließlich auf das Diesseits gründet.
Gott hat Wohl einen Platz in ihr, er wird in ihr geduldet. Man geht
zur Kirche, ehrt Geistliche und Mönche, aber Gott, die Religion ist ohne
Macht. Die religio als solche ist nicht Teil dieser Bildung, der höfische
Ritter kann ohne sie sein. Er ist weder ein Ketzer noch eigentlich fromm.
Das Kirchliche ist nur noch Form, als solche ist es Teil der Welt gewor-
den, der Welt, die für den Troubadour die ritterliche Welt ist, die ihr
Gesetz von den Begriffen mevsuru, eortexia und (soi, kröicke) her
empfängt.
Diese Welt ist - wie wir gesehen haben - nicht ohne ein ihr innewoh-
nendes Ethos. Dieses Ethos jedoch wird nicht bestimmt durch ein mora-
lisches Gesetz, es wächst vielmehr heraus aus dem Gedanken der schönen
Form. Nicht werden Geiz, Verschwendung, Treulosigkeit, Ketzerei ver-
dammt, weil sie schlecht, weil sie Sünde sind, sondern weil sie der mox-
8uru widersprechen, weil sie die Form auflösen würden, weil die „Welt"
durch sie zerstört werden würde. Das Ästhetische bestimmt, es wird
hier zur Grundlage sozialer Gestaltung, zunächst als formendes Prinzip
höfisch-ritterlicher Gesellschaft, die Frauen, Ritter und Geistliche in sich
schließt. Dann aber zieht es weitere Kreise. Der einzelne kann sich
durch die proditas morum, durch evrtoÄn, durch üüksoimit würdig
machen, in den Adel ausgenommen zu werden. Der angesehene Bürger
klopft an die Tore und wird eingelassen, wenn er dem Gesetze dieser
Gesellschaft folgte.
Thomasin von Zerclaere hat in ihr gelebt, mehrere Jahre vielleicht.
Er hat ihrem Gesetze gehorcht. Gern ist er mit ritern und Mit vrcmvon
gegangen, um bei bulmrt und tuns zuzuschauen (12 239ff.). Er hat
selbst zwei Eusenhamens im Dienste dieser Gesellschaft gedichtet, die
soviel uns die knappen Auszüge verraten - ganz desselben Geistes
sind wie die der Provenzalen selbst. Wie Andreas, wie der viel jüngere
Matfre Ermengau^ ist auch er einer jener Kapläne gewesen, die in
den Dingen der schönen Form so gut zu Hause sind wie auf ihrem
eigensten Gebiete. Dann ist er in die Heimat zurückgekehrt, ist in den
Dienst Wolfgers, des Patriarchen, eingetreten. Hier verkehren keine
provenzalischen Sänger, hier gibt es keine blühenden Städte mit einem
mächtigen Patriziat. Hier leben deutsche Ritter und geben den Ton an.
Hier steht man mitten in der großen Politik. Man spricht von Kaiser
und Papst, man muß in harter Arbeit die Zügel wieder ergreifen, die
Andreas (Anm. 488) 1 ö 6; vor allem S. 6Of.; ferner Arnaut deMarneil,
Mahn, Werke (Anm. 448) 1181.
Über ihn Wechßler (Anm. 340) 412.
 
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