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II. Thomasin von Zerclaere.

nach der Art der Anlage wie der Durchführung im einzelnen in den
großen Zusammenhang nicht so sehr des gelehrten als vielmehr des
geistlichen Schrifttums im eigentlichen Sinne gehört. Was er der Rhe-
torik verdankt, wird ausgewählt im Sinne der Gattung, der es angehört.
Und das ist nichts Neues oder Einmaliges. Vielmehr folgt der Verfasser
einem mehr oder weniger festen Brauch, der bereits auf die Übung der
Väter zurückgeht. Er entnimmt der weltlichen Rhethorik nur das, was
schon die Predigt ihr entlehnt haU°°. Hat er einst schönen Frauen und
höfischen Jünglingen zuliebe als weltgewandter oaptzllnnus Anstands-
und Minneregeln geschrieben, so nimmt er nunmehr um der neuen
Aufgabe willen eine neue und andere Haltung an. Der Thomasin, der
in dem entscheidungsreichen und zukunftsschweren Winter 1215 auf
1216 sich in seine Stube zurückzieht, ist nicht mehr Freund der Ritter-
spiele, des frohen Sanges und heiterer Geselligkeit. Er ist Prediger.
Abschnitt 9.
Thomasms Weltanschauung.
Thomasin von Zerclaere ist Prediger. Als Prediger geht er an die
neue Aufgabe heran, die ihm der beklagenswerte Zustand des Landes,
des Reiches, der Welt gestellt hat. Von der Predigt borgt er Sprache
und Stil, von ihr hat er gelernt, wie man zu Rittern oder Pfaffen, wie
zu Bereitwilligen und wie zu Verstockten sprechen muß. Der Predigt,
wie sie vor allem in Frankreich und Italien als den klassischen Ländern
juristischer und theologischer Beredsamkeit geübt wird, verdankt er auch
den formalen Schmuck, der seine Worte immer wieder davor bewahrt,
kraftlos oder langweilig zu werden. Der glühende Eifer des mahnen-
den und rufenden Predigers ergreift ihn, wo er Mißstände geißelt, wo
er die Frommen aufrnft oder einzelne Sünder und Sünden angreift.
Die Haltung der Predigt und des Predigers trägt das ganze Werk.
Ihr entspricht auch die Weltanschauung, auf die es sich gründet und
die es erfüllt.
Schönbachs Wrt durchaus, wenn er im Gegensatz zu der älteren
Ansicht eines Gervinus^ dem Welschen Gast eine „weltliche Auffassung
Es sei noch darauf hingewiesen, daß auch das Prosainhaltsverzeichnis vor
dem Gedicht, das — soweit ich sehe — in deutscher Überlieferung einzig dasteht, bei
den Vätern schon begegnet. Schmeidler, Vom patristischen Stil in der Literatur,
besonders in der Geschichtsschreibung des Mittelalters, Geschichtliche Studien. Mb.
Hauck zum 70. Geburtstag dargebracht. Leipzig 1916, 25—33. Dispositionen am
Anfang von Predigten (12. Jahrh.) s. bei Albert (Aum. 706) 111 12.
"" Anfänge (Anm. 177) 37; 39ff.; 49f.
 
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