Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Ergebnisse.

Thomasin von Zerclaere ist weder Deutscher noch Ritter. En
stammt aus einer Familie italienischer Herkunft, die zum Patriziat der
Stadt Cividale zählt und deren Angehörige im Handel mit Venedig
begegnen. Er selbst hat die Domschule seiner Vaterstadt oder zu Aquileja
besucht, wo er zunächst an Hand der Bücher aus dem Umkreis der
Schule von Chartres in die sieben freien Künste, später auch in die
Theologie cingeführt worden ist. Um das Jahr 1200 hat er als etwa
14jähriger Knabe einen oberitalienischen Hof aufgesucht. Es ist die Zeit
der Hochblüte proveuzalischen Sanges. Auch Thomasin taucht tief in
diese ihm neue Welt ein, so sehr, daß er schon nach wenigen Jähren
sich selbst als Dichter in provenzalischer Sprache versuchen kann. Der
Anklang, den ein erster Ensenhamen — eine Ritterlehre — findet, reizt
ihn zu einem zweiten, diesmal einer Frauenzucht.
Nach der Wahl Wolfgers von Ellenbrechtskirchen zum Patriarchen
von Aquileja kehrt der junge Geistliche in die Heimat zurück. Hier ist
alles anders als an dem eben verlassenen Hof. Hier gebietet ein deutscher
Fürst über deutsche Ritter. Deutschs Dichter halten Einkehr, singen und
werden belohnt. Hier warten Pflichten und Arbeit. Im Gefolge seines
Herrn bereist Thomasin den Sprengel, sieht Mißstände, Ungehorsam
und Ketzerei. Er sieht auch Papst und Kaiser, das ewige Rom. Ein
Wandel bahnt sich in ihm selber an. Die Welt der provenzalisch-höfischen
Bildung versinkt, ein geistliches Amt nimmt ihn gefangen. Er wird
regulierter Domherr zu Aquileja. Gottesdienst und Predigt liegen ihm
ob. Er nimmt seine neuen Ausgaben ernst und muß doch erleben, wie
um ihn heruni dieser Ernst so manchem seiner Amtsgeuossen fehlt, wie
Ritter und Geistliche in gleichem Maße sündigen und fehlen, wie welt-
liche Lust und irdischer Gewinn ihnen höher stehen als religiöse Pflichten,
wie man des Papstes spottet, einem Gebannten anhängt, Ketzer duldet.
Er schaut um sich. Schon die Begegnungen mit Abgefallenen und
Jrrlehrern mitten in der höfischen Welt des schönen Scheins haben ihm
einen tiefen Eindruck gemacht. Die gewaltigen Schläge der letztvergan-
genen Jahre, da ein fast schon verdrängter König zur höchsten Würde
der Welt aufgestiegen ist, die Bahnen des Rechts verlassen hat und
niedergestürzt ist ins Nichts, haben auch ihn erschüttert. Wohin er blickt,
 
Annotationen