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P1RKHEIMER AN DÜRER.
WIDMUNG VON THEOPHRASTUS' ETHISCHEN CHARACTEREN.
Nürnberg, i. September i52y.
Wilibald Pirk heim er Gruss und Heil seinem Albrecht
Dürer!
Dieses liebe Büchlein, einst mir von einem lieben Freunde
geschenkt, beschloss ich Dir, mein allerliebster Albrecht! zum
5 Geschenke zu machen, nicht bloss als Zeichen unserer gegen-
seitigen Freundschaft, sondern auch damit Du, als ein so vor-
trefflicher Meister der Malerkunst, auch sehen mögest, wie mei-
sterhaft jener alte, weise Theophrastus die menschlichen Be-
gierden und Neigungen zu malen verstanden habe. Durch Sitte
to und Gesetz einigermassen gezügelt, pflegen sich dieselben zwar
bisweilen die längste Zeit hindurch zu verbergen und nur bei
. passender Gelegenheit aus den geheimsten Tiefen der Herzen
hervorzubrechen, ganz so, als ob sie eben erst entstünden und
nicht vielmehr früher bloss durch die Furcht vor jenem recht-
t5 massigen Zuchtmeister zurückgedrängt und niedergehalten wor-
den wären, um alsbald, wenn dieser aus dem Wege geräumt
ist, öffentlich an's Licht zu treten und sich dreist in ihrer wah-
ren Gestalt zu zeigen. Dass sich das in Wahrheit so verhält,
beweisen vor allen gerade unsere Zeiten, in denen allzugrosse