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2 I. Die erften deutfchen Malerfchulen.

der Wiederfchein einer beftimmten, niemals wirklich durchgeführten
hierarchifchen Weltanfchauung. Hatte der romanifche Stil noch der
Sculptur und der Wandmalerei eine felbftändigere Geltung geftattet,
fo drückte die gothifche Baukunft die Schwefterkünfte zu blofser
Ornamentik herab.

Indeffen hatte fich auch der grofse Kreislauf vollzogen, in welchem
Rom, zuerft mit ftaatlichen und fodann mit kirchlichen Mitteln die
Völker des Abendlandes zu einem gemeinfamen Bildungsgange ver-
einigt hatte. Die nach allen Richtungen ausgeftreuten Keime hatten
Wurzel gefchlagen. Bei fortfchreitender Gliederung des Ganzen in
feine Theile begann ein mannigfaches, felbftändiges Culturleben der
Nationen, Landfchaften, Städte, Individuen. Indefs nun die tecto-
nifchen Künfte noch dem älteren Zuge nach dem Allgemeinen folgten,
warf fich der Volksgeift in feiner Befonderheit vorzüglich auf das
Malerifche und drängte weiter zur Befreiung des Wandgemäldes und
der Miniatur von ihren gothifchen Feffeln. Als Tafelbild, Kupferftich
und Holzfchnitt löfle fich die deutfehe Malerei von der Baukunft und
dem, gleichen Gefetzen unterliegendem Schriftthume los und über-
nahm fortan die Führerfchaft auf dem Gebiete der neueren Kunft.

In ihren Anfängen bewegte fich die Malerei Deutfchlands, foweit
wir diefelbe ■— zumeift in Miniaturen — zurückverfolgen können, vor-
nehmlich in den, noch aus dem Alterthume flammenden altchriftlichen
Formen. Die Figuren von derben Umriffen find mehr oder minder
unvollkommen gezeichnet; fie verrathen zwar noch in Haltung und
Gewandung die antike Ueberlieferung und deren vorwiegend plaftifchen
Gefchmack, bleiben aber ohne wahren tieferen Ausdruck. Bei diefer
ftationären Unvollkommenheit der malerifchen Leiftungen im Allge-
meinen ift anfangs auch der Unterfchied derfelben in den verfchiedenen
Gegenden Deutfchlands nur ein geringer. Erft feit der Mitte des XIV.
Jahrhunderts macht fich bei rafch fortfchreitender Technik auch in
den Formen der nationalen Kunft ein landfehaftlicher Gegenfatz geltend
— es bilden fich die erften deutfchen Malerfchulen.

Innerhalb diefer Schulen unterordnet fich der Einzelne noch ein
Jahrhundert lang völlig den gleichen Principien; fein Schaffen geht
auf in dem der Genoffen und hebt fich wohl nach dem höheren und
geringeren Grade technifcher Ausführung, nicht aber dem Charakter
nach von der Menge ab. Erft um ein Jahrhundert fpäter fchreitet die
Sonderung der Eigenthümlichkeit noch weiter. Immer deutlicher unter-
fcheidet fich das Individuum mit feiner beftimmten Formenanfchauung,
feiner befonderen einheitlichen Gefühlsweife. In bewufster Kraft erhebt
fich nun die Perfönlichkeit des einzelnen Künftlers zur Aufnahme und
 
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