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V. Wanderfchaft und Landfchaftsmalerei.
färben emfig ausgeführte Zeichnungen der Albertina fallen, welche
die beiden einander gegenüberftehenden Anflehten eines unbekannten
länglichen Stadtplatzes wiedergeben. Auf einen ganz unbegründeten
Ausfpruch Hellers hin hat man darin bisher die Ausficht aus dem erft
1509 von Dürer angekauften Wohnhaufe auf dem Thiergärtner Thor-
platze fehen wollen. Mit Letzterem hat die Lage des hier dargeftell-
ten Platzes nichts gemein, fo wenig, wie die Architektur der Gebäude
dem alten Nürnberg angehört. Das Urbild diefer gedrückten Lauben-
bögen, der Riegelwände, des reichen Zinkengiebels, des von unten
auffteigenden mehrfeitigen Erkerthurmes mit den Freitreppen möchte
am eheften im weftlichen Deutfchland zu fuchen fein. Die Linien
der Gebäude find urfprünglich nach dem Richtfcheit mit Kohle vor-
geriffen, dann mit genauer Beachtung des Materials ziemlich kräftig
colorirt. Die Perspective ift mangelhaft und leidet unter der Annahme
eines zu hohen Horizontes. Diefe Schwäche erinnert noch an die
Art Wolgemuts in den Städteanfichten der Weltchronik; der Aus-
fchlufs jeder Willkür aber und die treue Wiedergabe der Einzel-
heiten kennzeichnet einen weiteren Fortfehritt des Naturftudiums.
Auf dem einen der beiden Gegenftücke ift die Luft weifs geblieben,
auf dem andern ift der Himmel mit fchweren Wolken bedeckt, die
durch eine fchräge Abendbeleuchtung undurchfichtig erfcheinend ein
eigentümliches magifches Reflexlicht erzeugen. Das ungewöhnliche
Schaufpiel ift der Natur glücklich abgelaufcht und ftimmt mit dem
grau gehaltenen Grundtone des Ganzen zufammen. Wie die meiften
Landfchaftsftudien Dürers tragen auch diefe beiden Aquarelle keine
Jahreszahl, fondern nur das fpäter erft beigefügte Monogramm.
Ohne dafs wir angeben könnten, wo Dürer das Jahr 1493 zuge-
bracht hat, find uns gerade aus diefem zwei Werke von feiner Hand
erhalten. Das eine ift die in Tempera auf Pergament ausgeführte
Miniatur, der Jefusknabe mit halbem Leibe unter einer Fenfterwölbung
in der Albertina. In ein faltenreiches Hemdchen gekleidet, blickt er,
den Kopf empfindfam zur Seite geneigt, lächelnd empor, das auf der
Fenfterbrüftung ruhende Händchen hält eine goldene Kugel. Das
kurzgefchorene blonde Haar, die bläulichen Augen, die etwas grofsen
Ohren und die gewölbte fteile Stirn verrathen das deutfehe Modell,
deffen Eigenthümlichkeiten mit grofser Unbefangenheit beibehalten
find. Das kleine Bildchen ift bis zu erftaunlicher Feinheit und Run-
dung durchgeführt und macht, in grüne Laubftäbe eingefafst, einen
rührend lieblichen Eindruck. Leider hafteten die Temperafarben
fchlecht auf der Haarfeite des Pergaments und find deshalb zum Theil
abgefallen. Mehr Unbill noch mufste das gleichfalls auf Pergament
V. Wanderfchaft und Landfchaftsmalerei.
färben emfig ausgeführte Zeichnungen der Albertina fallen, welche
die beiden einander gegenüberftehenden Anflehten eines unbekannten
länglichen Stadtplatzes wiedergeben. Auf einen ganz unbegründeten
Ausfpruch Hellers hin hat man darin bisher die Ausficht aus dem erft
1509 von Dürer angekauften Wohnhaufe auf dem Thiergärtner Thor-
platze fehen wollen. Mit Letzterem hat die Lage des hier dargeftell-
ten Platzes nichts gemein, fo wenig, wie die Architektur der Gebäude
dem alten Nürnberg angehört. Das Urbild diefer gedrückten Lauben-
bögen, der Riegelwände, des reichen Zinkengiebels, des von unten
auffteigenden mehrfeitigen Erkerthurmes mit den Freitreppen möchte
am eheften im weftlichen Deutfchland zu fuchen fein. Die Linien
der Gebäude find urfprünglich nach dem Richtfcheit mit Kohle vor-
geriffen, dann mit genauer Beachtung des Materials ziemlich kräftig
colorirt. Die Perspective ift mangelhaft und leidet unter der Annahme
eines zu hohen Horizontes. Diefe Schwäche erinnert noch an die
Art Wolgemuts in den Städteanfichten der Weltchronik; der Aus-
fchlufs jeder Willkür aber und die treue Wiedergabe der Einzel-
heiten kennzeichnet einen weiteren Fortfehritt des Naturftudiums.
Auf dem einen der beiden Gegenftücke ift die Luft weifs geblieben,
auf dem andern ift der Himmel mit fchweren Wolken bedeckt, die
durch eine fchräge Abendbeleuchtung undurchfichtig erfcheinend ein
eigentümliches magifches Reflexlicht erzeugen. Das ungewöhnliche
Schaufpiel ift der Natur glücklich abgelaufcht und ftimmt mit dem
grau gehaltenen Grundtone des Ganzen zufammen. Wie die meiften
Landfchaftsftudien Dürers tragen auch diefe beiden Aquarelle keine
Jahreszahl, fondern nur das fpäter erft beigefügte Monogramm.
Ohne dafs wir angeben könnten, wo Dürer das Jahr 1493 zuge-
bracht hat, find uns gerade aus diefem zwei Werke von feiner Hand
erhalten. Das eine ift die in Tempera auf Pergament ausgeführte
Miniatur, der Jefusknabe mit halbem Leibe unter einer Fenfterwölbung
in der Albertina. In ein faltenreiches Hemdchen gekleidet, blickt er,
den Kopf empfindfam zur Seite geneigt, lächelnd empor, das auf der
Fenfterbrüftung ruhende Händchen hält eine goldene Kugel. Das
kurzgefchorene blonde Haar, die bläulichen Augen, die etwas grofsen
Ohren und die gewölbte fteile Stirn verrathen das deutfehe Modell,
deffen Eigenthümlichkeiten mit grofser Unbefangenheit beibehalten
find. Das kleine Bildchen ift bis zu erftaunlicher Feinheit und Run-
dung durchgeführt und macht, in grüne Laubftäbe eingefafst, einen
rührend lieblichen Eindruck. Leider hafteten die Temperafarben
fchlecht auf der Haarfeite des Pergaments und find deshalb zum Theil
abgefallen. Mehr Unbill noch mufste das gleichfalls auf Pergament