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Liebe und Stolz.

auch in dem täglichen persönlichen Verkehr, weil alle
schwachen und selbstgefälligen Naturen — und heisst das
nicht so viel als fast alle? — durch die Erregbarkeit seines
Wesens und dessen heftige Aufwallungen erschreckt, verletzt
und an eben dieser seiner Güte und seinem Bedürfniss, ge-
liebt zu werden, irre gemacht wurden. Seine Leidenschaft,
derselbe feurige Pulsschlag, der seinem Gemüth unbezwingliche
Kraft gab, versperrte diesem den Weg zu den Menschen. Ein
schnell aufloderndes Wort, ein stürmischer Ausbruch, hervor-
gerufen durch die Wahrnehmung von Unwahrhaftigkeit, Un-
lauterkeit, Untreue, Gefühllosigkeit entfremdete ihm die klein-
müthigen Herzen, welche unfähig sind, die Hoheit eines stets dem
Erhabenen zugewandten Wollens selbst in scheinbar persön-
lichen ungestümen Auslassungen zu erkennen. Dem beschränkten
Geist bleibt es ja immer unfassbar, dass eine leidenschaftliche
grosse Seele, deren Heimath und Reich die ethische Welt-
ordnung ist, jeden Eingriff in diese als eine unerträgliche
Störung der Harmonie empfindet, ja für einen Augenblick
durch ihn ganz äusser Fassung gesetzt wird, um ihn dann
mit Empörung abzuwehren. So geduldig und nachsichtig
gegen menschliche Schwächen, so empfindlich ist sie gegen Alles,
und mag es noch so geringfügig dünken, was gegen den
Geist der Liebe, der Wahrheit und der Redlichkeit verstösst.
Ihre Erregung gilt nicht eigentlich der Person, sondern dem
in dieser wirkenden Verderblichen. Die Erwiderung aber,
die ihr von dem Betroffenen zu theil wird, ist in mildem Falle
Widerstand und Misstrauen, im schlimmeren Hass und Bosheit.
Und alle solche zahllosen Erfahrungen, missverstanden zu
sein, die durch die Hingebung vereinzelter guter und treuer
Menschen nicht aufgehoben werden konnten, mussten nur,
indem sie Michelangelos Liebe die Wege versperrten, sein
Liebesbedürfniss verstärken. Zurückgeworfen auf sich selbst,
bedroht von der lieblosen Welt, bedarf das ach! so offene
Gemüth, will es die Kraft sich wahren und im eigenen Inneren
das einzig Muth und Freudigkeit spendende Bild menschlichen
Ideales sich erhalten, eines Schutzes. Seine Wehr wird
der Stolz, die andere, neben der Liebe hervorstechende
Eigenschaft der Michelangeloschen Seele. Nur von Unver-
 
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