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Lionardo und Michelangelo.

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veranlaßt sieht, seinerseits neben der Statuenkunst das Relief, ja
selbst die bisher von ihm ganz vernachlässigte Malerei zu kultiviren.
Der Geist, in dem er es thut, bezeichnet nun aber nichts weniger
als eine Nachfolge, sondern vielmehr einen Protest gegen Lionardos
Ideal, und zu einem Protest auch werden, in einem gewissen Sinne,
die von ihm gesuchten Normen der Schönheitstypen und der Kom-
position. Die Heterogeneität der beiden Naturen, die, wie wir früher
erfuhren (Bd. I), zu so trauriger Entfremdung im Leben führte und
eine leidenschaftliche Partheibildung unter den jungen Zeitgenossen
zur Folge hatte, äußerte sich künstlerisch als Antagonismus der Prin-
zipien. In schroffer Weise traten sich Skulptur und Malerei gegen-
über — ein Schauspiel merkwürdigster Art, wie es die Kunst-
geschichte nicht zum zweiten Male aufzuweisen hat. Die malerischen
Errungenschaften Lionardos: alle seine Herrlichkeit der Farbe und
des Lichtes, allen seinen Reichthum der Erscheinungen des weiten,
den Menschen in sich aufnehmenden Naturganzen, alle seine Ver-
klärung des Leibes durch den zarten Hauch der Liebe und durch
die ätherischen Schwingungen geistigen Lebens, wies Michelangelo
zurück — mit furchtbarem, unbeugsamem Trotz beraubte er die
Malerei der ihr eigensten Fähigkeiten und zwang sie, zu Gunsten
eines unwiderstehlichen Eindruckes des einzig für künstlerisch werth-
voll erklärten menschlichen Leibes, unter das Joch der plastischen
Gesetze.
Näheres über die persönlichen Beziehungen der beiden Meister
zu einander wissen wir nicht. Im Frühsommer 1502 verließ Lio-
nardo Florenz, um als Ingenieur Cesare Borgia auf seinen Kriegs-
und Vernichtungszügen zu folgen. Nach dem Sturz der Macht der
Borgias kehrt er in die Heimath zurück, wo er im März 1503 sich
befindet. Im Beginn des Jahres 1504 erhält er den Auftrag auf
das Gemälde der Schlacht von Anghiari im Rathssaale und beginnt
den Karton Anfang Mai. Er muß erleben, daß im August desselben
Jahres Michelangelo berufen wird, das Seitenstück zu diesem Werke,
die Schlacht von Cascina, auszuführen. Die Rivalität der beiden
Künstler erhält ihren öffentlichen Ausdruck, aber in derselben Zeit,
da Lionardo die Wandmalerei beginnt und Michelangelo allen Eifer
daran setzt, ihm nachzukommen, im März 1505, wird Letzterer nach
Rom gerufen. An dem nicht geglückten Versuche eines neuen
technischen Verfahrens scheitert die Ausführung des Lionardoschen
Werkes — Michelangelo, nachdem er, im Sommer 1506 wieder in
 
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