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Vergleich von Skulptur und Malerei.

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Über die Frage, welche der beiden Künste, die Skulptur
oder die Malerei, größere Schwierigkeiten biete, hat sich der
Meister ebenjenem Francisco, der, unter dem Eindrücke des Jüng-
sten Gerichtes, ihn in erster Linie für einen Maler hielt, gegenüber
geäußert: „Auch hat er mir selbst mehr als einmal versichert, er
fände das Behauen der Steine weniger schwierig, als das Bereiten
der Farben, und halte es für eine größere Kunst, mit der Feder,
als mit dem Meißel, meisterlich zu zeichnen.“ (S. 61.) Auch
Lomazzo berichtet: „Michelangelo habe zu sagen gepflegt, er
verstünde nichts von dieser Kunst, deren Größe und unend-
liche Schwierigkeiten er sich beständig vergegenwärtige.“ (Idea
S. 96.) Ja, Pontormo geht in einem Briefe, der freilich der Ver-
herrlichung der Malerei gewidmet ist, so weit, zu behaupten,
„Jener habe die Malerei immer mehr geliebt als die Skulptur,
weil sie schwieriger sei und seinem übernatürlichem Geiste ent-
spräche“. (Bottari I, 23.) Will dieser letzte Ausspruch sehr cum
grano salis verstanden sein, so entsprechen die beiden ersten
durchaus dem Geiste des seiner eigenen Begabung sicheren Bild-
hauers, der einst, wie wir hörten, im Hinblick auf sein Jugend-
werk: den Kentaurenkampf, sagte: „welches Unrecht er seiner
Natur angethan habe, nicht eifrig die Skulpturkunst betrieben zu
haben.“ (Condivi.)
Freilich hat er bei den bemerkten „Schwierigkeiten“ sicher
mehr die technische Seite im Auge gehabt und gewiß nicht daran
gedacht, der Malerei den Vorrang vor der Skulptur vindiziren zu
wollen. Aus seiner Begabung heraus mußte er vielmehr das Gegen-
theil zu thun geneigt sein. Er scheint gelegentlich das Verhältniss
der beiden Künste, wie Cellini (und nach ihm Doni: Disegno S. 44)
sagt, so bezeichnet zu haben: „die Malerei sei der Schatten ihrer
Mutter, der Skulptur.“ Im Übrigen aber hat er, wenigstens in seinen
späteren Jahren die Frage, welche die höhere Kunst sei, nament-
lich so wie dieses Problem von den Literaten behandelt wurde,
für eine sehr müßige erachtet. Als Vasari 1548, der eine von Be-
nedetto Varchi an Künstler ergehende Bitte um ihre Meinung erfüllen
wollte, den Meister interpellirte, erwiederte Dieser, spöttisch lächelnd:
„Die Skulptur und die Malerei haben das gleiche Ziel, und die eine
wie die andere erreicht es schwer.“ „Und ich konnte nichts Anderes
aus ihm herausziehen.“ (VIII, S. 293.) Später aber hat sich
Michelangelo auf das Drängen Varchis, der dann die eingegangenen
 
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