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Die Verspottung Noahs.
versöhnende Bilder der Gatten- und Elternliebe eines heroischen
Geschlechtes! Es spricht sich in ihnen wie ein erhabenes Er-
barmen des Meisters mit der Menschheit, wie eine Ehrenrettung
derselben aus.
In der bildnerischen Schönheit der einzelnen Gruppen und
Gestalten, die ihren Höhepunkt in der Brüdergruppe und in dem
Liebespaar erreicht, sucht er den Ersatz für den Mangel einer Ge-
sammtwirkung, und schwelgt in der Darstellung des Nackten, welche
ihm durch den Vorwurf vergönnt war. Und ist man nur dazu
gelangt, die Schwierigkeiten zu würdigen, dann kennt die Be-
wunderung für die Meisterkunst, die sich in der Wahl der ge-
schilderten Momente und in dem Aufbau der Gestaltenmassen kund-
giebt, keine Grenzen. Studien zu dem Fresko, das in einigen
Figuren noch direkte Verwerthung der Entwürfe für den Karton
von Pisa zeigt, befinden sich in den Uffizien (Verz. 211, 224,
229).
Alle noch so grosse Kunst der Komposition und der Körper-
bildung vermag aber freilich nicht zu hindern, dass nach den tiefen,
gehaltvollen Mythen die kleineren Historien aus dem Leben Noahs
uns kalt lassen. Die Vorstellung der Verspottung des Erz-
vaters durch seinen Sohn Ham, so meisterlich sie in Reliefstil
komponirt und gestaltet und durch feinste Berechnung der Linien-
führung — man sehe die formalen Funktionen und Rhythmen der
sechs Jünglingsarme I — ausgezeichnet ist, so sehr die Gestalt Harns
in den Hintergrund gebracht und den beiden mitleidigen Söhnen
Sem und Japhet die Hauptrolle zugewiesen wird, und so geistreich
Michelangelo für den trunken vor der Kufe gelagerten Patriarchen
die Erinnerung an den antiken Silen heraufbeschworen hat, bleibt
eine widrige. Und mit dem Mittelalter Noah als typologisch für
den bei der Dornenkrönung verspotteten Christus aufzufassen, kommt
uns so wenig bei, als der Künstler daran gedacht hat, der, Quercia,
Ghiberti und Uccello folgend, den Vorwurf einfach als ein Zeugniss
für die Fortdauer der Sünde auch nach der Fluth bringt (Studien
für den einen Sohn und Noah als Ackersmann in Paris Verz. 474
und München Verz. 381).
Nach der Fluth und trotz des Bundes, den Gott mit dem
opfernden Noah schliesst. Für diese Opferszene, die reich
Die Verspottung Noahs.
versöhnende Bilder der Gatten- und Elternliebe eines heroischen
Geschlechtes! Es spricht sich in ihnen wie ein erhabenes Er-
barmen des Meisters mit der Menschheit, wie eine Ehrenrettung
derselben aus.
In der bildnerischen Schönheit der einzelnen Gruppen und
Gestalten, die ihren Höhepunkt in der Brüdergruppe und in dem
Liebespaar erreicht, sucht er den Ersatz für den Mangel einer Ge-
sammtwirkung, und schwelgt in der Darstellung des Nackten, welche
ihm durch den Vorwurf vergönnt war. Und ist man nur dazu
gelangt, die Schwierigkeiten zu würdigen, dann kennt die Be-
wunderung für die Meisterkunst, die sich in der Wahl der ge-
schilderten Momente und in dem Aufbau der Gestaltenmassen kund-
giebt, keine Grenzen. Studien zu dem Fresko, das in einigen
Figuren noch direkte Verwerthung der Entwürfe für den Karton
von Pisa zeigt, befinden sich in den Uffizien (Verz. 211, 224,
229).
Alle noch so grosse Kunst der Komposition und der Körper-
bildung vermag aber freilich nicht zu hindern, dass nach den tiefen,
gehaltvollen Mythen die kleineren Historien aus dem Leben Noahs
uns kalt lassen. Die Vorstellung der Verspottung des Erz-
vaters durch seinen Sohn Ham, so meisterlich sie in Reliefstil
komponirt und gestaltet und durch feinste Berechnung der Linien-
führung — man sehe die formalen Funktionen und Rhythmen der
sechs Jünglingsarme I — ausgezeichnet ist, so sehr die Gestalt Harns
in den Hintergrund gebracht und den beiden mitleidigen Söhnen
Sem und Japhet die Hauptrolle zugewiesen wird, und so geistreich
Michelangelo für den trunken vor der Kufe gelagerten Patriarchen
die Erinnerung an den antiken Silen heraufbeschworen hat, bleibt
eine widrige. Und mit dem Mittelalter Noah als typologisch für
den bei der Dornenkrönung verspotteten Christus aufzufassen, kommt
uns so wenig bei, als der Künstler daran gedacht hat, der, Quercia,
Ghiberti und Uccello folgend, den Vorwurf einfach als ein Zeugniss
für die Fortdauer der Sünde auch nach der Fluth bringt (Studien
für den einen Sohn und Noah als Ackersmann in Paris Verz. 474
und München Verz. 381).
Nach der Fluth und trotz des Bundes, den Gott mit dem
opfernden Noah schliesst. Für diese Opferszene, die reich