Zunahme der Verhältnisse und der Bewegung.
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künstlicher ? Dies erklärt sich doch ebensowenig aus einer geistigen
Beziehung auf die angränzenden Historien, wie aus einer Berech-
nung des Eindruckes auf den Eintretenden. Zweitens : spricht sich
in diesen Erscheinungen nicht deutlich die wachsende Kunst und
Sicherheit, also eine Entwicklung vom Gebundenen zum Freieren
aus? Genau so, wie wir diese uns denken würden! Der Meister
hätte also nicht schon im Gesammtentwurfe Alles genau festgestellt,
sondern erst, indem er von Feld zu Feld fortschritt, bei der Aus-
führung der Fresken selbst.
Die einzige Lösung des Dilemmas ergiebt sich, wenn wir beiden
Erwägungen ihr Recht zuerkennen. Der Vorgang dürfte folgender
gewesen sein. Die ersten Skizzen zu den Historien, wie zu den
Propheten, Sibyllen und Epheben werden, wie auch das Oxforder
Skizzenbuch zeigt, ziemlich gleichzeitig entstanden sein, nachdem
das Gesammtschema, welches den Gedanken der wachsenden Grössen-
verhältnisse schon enthielt oder wenigstens bald in sich aufnahm,
festgestellt war. Eine Fülle solcher Federskizzen, in Sonderheit
für die Athleten, muss ihm vorgelegen haben. Als er dann an die
feste Gestaltung des Einzelnen ging, wozu ihm ausgefuhrte Röthel-
studien dienten, begann er mit den ersten Kompartimenten an der
Eingangsseite und legte hier in der Anordnung der Epheben Ge-
wicht auf strenge symmetrische Gesetzmässigkeit und ein gewisses
Maass in Motiven und Formen. Vorwärtsschreitend in der Reihen-
folge der Kartons, denn eben in diesen vollzog sich die Entwicklung,
befreite er sich, indem er die kühneren Skizzen benutzte, mehr von
jenem Zwange, wie zu gleicher Zeit seine Freude an mächtigeren
Körperformen, im Einklang mit der Idee der zunehmenden Ver-
hältnisse, zu immer gewaltigeren Bildungen führte.
An einer Gesetzmässigkeit aber, welche den Stil der gesammten
Schöpfung bestimmt, hielt er fest: an der plastischen Norm
klarster Verdeutlichung der die Gestalten ein-
schliessenden und durch sie belebten Raumeinheiten.
Verräth sich der plastische Geist, wie dargelegt ward, schon
in dem architektonischen Rahmenwerk: in den festgezimmerten
Throngehäusen, welche die Sehergestalten in sich aufnehmen, in
den Würfelpostamenten, auf denen die Epheben sitzen, und in den
Gurtbögen, findet er unmittelbaren Ausdruck in den Marmorputten,
den Bronzefiguren und den Reliefmedaillons, so prägt er nicht
minder den als Malereien gedachten Darstellungen und Figuren
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künstlicher ? Dies erklärt sich doch ebensowenig aus einer geistigen
Beziehung auf die angränzenden Historien, wie aus einer Berech-
nung des Eindruckes auf den Eintretenden. Zweitens : spricht sich
in diesen Erscheinungen nicht deutlich die wachsende Kunst und
Sicherheit, also eine Entwicklung vom Gebundenen zum Freieren
aus? Genau so, wie wir diese uns denken würden! Der Meister
hätte also nicht schon im Gesammtentwurfe Alles genau festgestellt,
sondern erst, indem er von Feld zu Feld fortschritt, bei der Aus-
führung der Fresken selbst.
Die einzige Lösung des Dilemmas ergiebt sich, wenn wir beiden
Erwägungen ihr Recht zuerkennen. Der Vorgang dürfte folgender
gewesen sein. Die ersten Skizzen zu den Historien, wie zu den
Propheten, Sibyllen und Epheben werden, wie auch das Oxforder
Skizzenbuch zeigt, ziemlich gleichzeitig entstanden sein, nachdem
das Gesammtschema, welches den Gedanken der wachsenden Grössen-
verhältnisse schon enthielt oder wenigstens bald in sich aufnahm,
festgestellt war. Eine Fülle solcher Federskizzen, in Sonderheit
für die Athleten, muss ihm vorgelegen haben. Als er dann an die
feste Gestaltung des Einzelnen ging, wozu ihm ausgefuhrte Röthel-
studien dienten, begann er mit den ersten Kompartimenten an der
Eingangsseite und legte hier in der Anordnung der Epheben Ge-
wicht auf strenge symmetrische Gesetzmässigkeit und ein gewisses
Maass in Motiven und Formen. Vorwärtsschreitend in der Reihen-
folge der Kartons, denn eben in diesen vollzog sich die Entwicklung,
befreite er sich, indem er die kühneren Skizzen benutzte, mehr von
jenem Zwange, wie zu gleicher Zeit seine Freude an mächtigeren
Körperformen, im Einklang mit der Idee der zunehmenden Ver-
hältnisse, zu immer gewaltigeren Bildungen führte.
An einer Gesetzmässigkeit aber, welche den Stil der gesammten
Schöpfung bestimmt, hielt er fest: an der plastischen Norm
klarster Verdeutlichung der die Gestalten ein-
schliessenden und durch sie belebten Raumeinheiten.
Verräth sich der plastische Geist, wie dargelegt ward, schon
in dem architektonischen Rahmenwerk: in den festgezimmerten
Throngehäusen, welche die Sehergestalten in sich aufnehmen, in
den Würfelpostamenten, auf denen die Epheben sitzen, und in den
Gurtbögen, findet er unmittelbaren Ausdruck in den Marmorputten,
den Bronzefiguren und den Reliefmedaillons, so prägt er nicht
minder den als Malereien gedachten Darstellungen und Figuren