I. EINLEITUNG
a) Der Begriff ,,Mittelrheinische Kunst“
Der kunstgeschichtlichen Forschung stellen sich mehr als in jedem anderen
Gebiete gerade am Mittelrhein besondere Schwierigkeiten entgegen. Hier
vernichteten Krieg und Zerstörung aller Art einen ungeheuer reichen Be-
stand an Denkmälern fast völlig. Auch die wenigen erhaltenen, oft weithin ver-
sprengten Werke der Plastik stehen im allgemeinen auffällig isoliert da und
lassen sich weder auf dem Wege der Stilkritik noch mit Hilfe eines spärlichen
Aktenmaterials zu einem überlieferten Meisternamen oder zu einander in Be-
ziehung bringen. So steht der Begriff der mittelrheinischen Kunst im Gegen-
satz zu dem festumrissenen Charakter der schwäbischen, fränkischen, ober-
oder niederrheinischen Lokalschulen unklar und schwankend vor uns, und die
Frage erhebt sich, ob man angesichts der großen Verschiedenheiten der For-
mensprache innerhalb dieser Produktion überhaupt von einer Schule sprechen
könne. Die Ansichten der wenigen Forscher, die sich mit der Kunst der
Gegend beschäftigt haben, weichen beträchtlich voneinander ab.
Am bestimmtesten tritt neben Klingelschmitt1) Rauch2) für die Existenz
einer landschaftlich-individuellen Sonderart mit hochentwickelter Technik
ein, doch muß er das bald stärkere, bald schwächere Hineinspielen fremder
Einflüsse zugeben.
Lübbecke3) erkennt der mittelrheinischen Kunst im Gegensatz zu der in ihrem
Wesen stets sich gleichen kölnischen erst von der Mitte des 14. Jahrhunderts
ab eine eigene Formensprache zu, und auch L. Fischei4) braucht den Begriff
mit Vorsicht, doch sucht sie die Annahme der Existenz eines mittelrheini-
schen Lokalstiles zu rechtfertigen durch den Hinweis auf die Kontinuität sei-
ner fließenden Eigenart, die sich ausspräche in einer Leidenschaft für die
Dekoration und dem Sinn für Ruhe und Zuständlichkeit.
Renard5) scheinen süddeutsche Einflüsse maßgebend gewesen zu sein.
Back6) hingegen betont die mittelrheinische Tradition, ohne daß er von
*) Klingelschmitt hält es für eine abstruse Idee, daß eine Gegend mit so alter Kultur
keine bodenständige Kunst gehabt haben solle (Hessenkunst 1919, S.45).
2) Rauch, Hessenkunst 1912, S. 11.
s) Lübbecke, Kölner Plastik, S. 15.
4) Fischei, Mittelrheinische Plastik, S. 107.
5) Renard, Geschichte des Rheinlandes, S.418. — Er stellt bei Düren einen Altar mit
ausgesprochen schwäbischem Charakter fest.
*) Back, Mittelrheinische Kunst, S. 74 ff.
9
a) Der Begriff ,,Mittelrheinische Kunst“
Der kunstgeschichtlichen Forschung stellen sich mehr als in jedem anderen
Gebiete gerade am Mittelrhein besondere Schwierigkeiten entgegen. Hier
vernichteten Krieg und Zerstörung aller Art einen ungeheuer reichen Be-
stand an Denkmälern fast völlig. Auch die wenigen erhaltenen, oft weithin ver-
sprengten Werke der Plastik stehen im allgemeinen auffällig isoliert da und
lassen sich weder auf dem Wege der Stilkritik noch mit Hilfe eines spärlichen
Aktenmaterials zu einem überlieferten Meisternamen oder zu einander in Be-
ziehung bringen. So steht der Begriff der mittelrheinischen Kunst im Gegen-
satz zu dem festumrissenen Charakter der schwäbischen, fränkischen, ober-
oder niederrheinischen Lokalschulen unklar und schwankend vor uns, und die
Frage erhebt sich, ob man angesichts der großen Verschiedenheiten der For-
mensprache innerhalb dieser Produktion überhaupt von einer Schule sprechen
könne. Die Ansichten der wenigen Forscher, die sich mit der Kunst der
Gegend beschäftigt haben, weichen beträchtlich voneinander ab.
Am bestimmtesten tritt neben Klingelschmitt1) Rauch2) für die Existenz
einer landschaftlich-individuellen Sonderart mit hochentwickelter Technik
ein, doch muß er das bald stärkere, bald schwächere Hineinspielen fremder
Einflüsse zugeben.
Lübbecke3) erkennt der mittelrheinischen Kunst im Gegensatz zu der in ihrem
Wesen stets sich gleichen kölnischen erst von der Mitte des 14. Jahrhunderts
ab eine eigene Formensprache zu, und auch L. Fischei4) braucht den Begriff
mit Vorsicht, doch sucht sie die Annahme der Existenz eines mittelrheini-
schen Lokalstiles zu rechtfertigen durch den Hinweis auf die Kontinuität sei-
ner fließenden Eigenart, die sich ausspräche in einer Leidenschaft für die
Dekoration und dem Sinn für Ruhe und Zuständlichkeit.
Renard5) scheinen süddeutsche Einflüsse maßgebend gewesen zu sein.
Back6) hingegen betont die mittelrheinische Tradition, ohne daß er von
*) Klingelschmitt hält es für eine abstruse Idee, daß eine Gegend mit so alter Kultur
keine bodenständige Kunst gehabt haben solle (Hessenkunst 1919, S.45).
2) Rauch, Hessenkunst 1912, S. 11.
s) Lübbecke, Kölner Plastik, S. 15.
4) Fischei, Mittelrheinische Plastik, S. 107.
5) Renard, Geschichte des Rheinlandes, S.418. — Er stellt bei Düren einen Altar mit
ausgesprochen schwäbischem Charakter fest.
*) Back, Mittelrheinische Kunst, S. 74 ff.
9