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lächelnden Oberlippe biegen; ähnlich ist auch das unter den tiefen Grübchen
breit und rund heraussteigende Kinn, das sich ohne Fettpolster mager zum
Hals hinzieht, das Gesicht betont zuspitzend. Langgezogene, leichtgeschlitzte
Augen mit ganz schmalen, scharf abgesetzten Oberlidern geben unter den
schwebend gespannten Augenbrauen den Gesichtern einen Ausdruck, der bei
der Straßburgerin ins warm Mütterliche, bei der Büste in verschmitztes Ver-
gnügtsein abgewandelt ist. Beider Hände haben lange, zerbrechliche Glieder
T. 9 mit stark durchgedrücktem Daumen und Zeigefinger. Wie bei dem Straßbur-
ger Bärbel dienen breitgerollte, tiefhängende Flechten dem zartgefügten Ge-
sicht als Folie. In dem Vergnügen an weich schwellendem Fleisch, an dem
Auf und Ab der geschmeidigen Formen steht der Meister Nikolaus Gerhart
noch sehr nahe, doch zeigt sich in der Verderberung und Übertreibung der
Formen, der fehlenden Beobachtung der Körperstruktur die mindere Hand.
Als eine sehr handwerkliche Vergröberung eben der Bärbel erweist sich eine
T.ix Barbara des Mainzer Museums. Sie zeigt in dem langen Oval mit den vollen
Wangen, dem kleinen Mund mit der ausgezogenen Oberlippenmitte, dem
Schwung der Augenbrauen den für Nikolaus Gerhart charakteristischen
Kopftyp. Oberrheinisch beeinflußt erscheint auch das schwere Gewand mit
den mächtigen Schüsselfalten.
i. Der Horcher Hochaltar
T. 12—15 Neben dem Gelnhäuser ist der Lorcher Hochaltar das einzige erhaltene,
große Altarwerk am Mittelrhein. 1483 von den besonders zahlreichen und mäch-
tigen Lorcher Adelsgeschlechtern gestiftet141), ist er trotz überlieferter Nach-
richten von Beschädigungen (Stramberg II, 16, S. 221 ff.) ziemlich unversehrt
auf uns gekommen. Eine Predella mit drei Kammern für Halbfiguren trägt
eine zweistöckige Nischenarchitektur mit Staffelgiebel, deren Gliederung sich
in einem dreitürmigen Aufbau fortsetzt. Unter Netzbaldachinen mit Laubwerk-
füllung stehen nach Geschlechtern getrennt neben Maria links Dorothea und
Barbara, rechts Margarete und Katharina, neben Martin als Mittelstück links
Simon und Antonius, rechts Johannes der Täufer und Wendelin. Die Türme
geben, wie häufig, einer Kreuzigungsgruppe Raum. Die Predellennischen, die
Halbgeschosse über ihnen und die äußersten Stufen des Hauptgesimses be-
herbergen Büsten (ganz unten Petrus und Paulus, über ihnen zwei Profan-
figuren, ganz oben Georg und ein zweiter Ritter). Als Mittelpunkt des Baues
ist schon durch ihren größeren Maßstab und die frontale, repräsentative Hal-
T. 13 tung die Madonna gekennzeichnet: eine gedrungene, schwere Gestalt mit
großem Kopf, vollen festen Körperformen und robusten Proportionen. Das
reiche Gewand legt sich in enger Stauung fest um ihre Füße, es läßt die Ge-
141) Über der Mittelfigur das Wappen des damal. Dompropstes von Mainz, eines
Waldeck von Lorch, und das der Frischenstein v. Waldeck; jener war zur Kur-
mainzer Zeit Inhaber des Pfarrbenefiziums. Über Barbara das der Schetzel von
Lörch, über Katharina das der Hertwich von Lorch, über Martin das Mainzer Rad.

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