denn sie berichten von den Nöten und Ängsten des
Künstlers, der in unruhigen Monaten die neuen, nie ge-
sehenen Formen zu artikulieren suchte. Mein Bild von
der Entstehung der Knienden stützt sich also weitgehend
auf Unterhaltungen mit Lehmbrucks Gattin.
Da fast ein halbes Jahrhundert seit der Schaffung der
Knienden vergangen ist, kann mein Bericht keine lücken-
lose Rechenschaft abgeben, zumal Lehmbruck zurück-
gezogen arbeitete und die Neugier der Atelierbesucher
scheute. Ich vermute, daß die Arbeit an der Plastik im
wesentlichen während der ersten Monate des Jahres 1911
vor sich ging, da das Bildwerk noch im selben Jahre im
Grand Palais zu Paris ausgestellt wurde. Damals wohnte
Lehmbruck in seinem zweiten Pariser Atelier auf der
Avenue du Maine Nr. 127, das bessere Arbeitsmöglich-
keiten bot als die erste Behausung in der Rue Vaugirard,
die Lehmbruck bei der Ankunft 1910 bezogen hatte. Der
eigentliche Wohnteil war zwar nur durch einen Vorhang
vom Arbeitsraum abgetrennt, aber die Lehmbrucks schätz-
ten sich glücklich, im Quartier Montparnasse ein Heim
gefunden zu haben. Auf betriebsame Geselligkeit scheint
Lehmbruck nicht erpicht gewesen zu sein, aber die Nach-
barschaft anderer Bildhauer in der Nähe der Avenue du
Maine wird ihm zumindest das Gefühl der passenden
Umgebung vermittelt haben.
Wie Frau Lehmbrudc mir erzählte, ging Lehmbruck
die Arbeit keineswegs leicht von der Hand. Insbesondere
hat die Kniende, die ihm ungewöhnliche und schwere
Entscheidungen künstlerischer Art abverlangte, den jun-
gen Bildhauer harte Stunden gekostet. Immer wieder floh
er vor den Problemen, die ihm das Werk aufgab, in die
Einsamkeit des Waldes von Fontainebleau, wo er mit
Frau und Kind stundenlang herumlief, um dann plötz-
lich in die Stadt zurückzueilen, spornstreichs ins Atelier
zu stürzen und wie ein Besessener an der begonnenen
Figur weiterzuarbeiten.
Die innere Unruhe und Zerrissenheit Lehmbrucks wäh-
rend der Genesis der Knienden steigerten sich fast zum
Unerträglichen, als der Zeitpunkt des Gießens herankam.
Lehmbruck zögerte den Guß hinaus, da er glaubte, an
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Künstlers, der in unruhigen Monaten die neuen, nie ge-
sehenen Formen zu artikulieren suchte. Mein Bild von
der Entstehung der Knienden stützt sich also weitgehend
auf Unterhaltungen mit Lehmbrucks Gattin.
Da fast ein halbes Jahrhundert seit der Schaffung der
Knienden vergangen ist, kann mein Bericht keine lücken-
lose Rechenschaft abgeben, zumal Lehmbruck zurück-
gezogen arbeitete und die Neugier der Atelierbesucher
scheute. Ich vermute, daß die Arbeit an der Plastik im
wesentlichen während der ersten Monate des Jahres 1911
vor sich ging, da das Bildwerk noch im selben Jahre im
Grand Palais zu Paris ausgestellt wurde. Damals wohnte
Lehmbruck in seinem zweiten Pariser Atelier auf der
Avenue du Maine Nr. 127, das bessere Arbeitsmöglich-
keiten bot als die erste Behausung in der Rue Vaugirard,
die Lehmbruck bei der Ankunft 1910 bezogen hatte. Der
eigentliche Wohnteil war zwar nur durch einen Vorhang
vom Arbeitsraum abgetrennt, aber die Lehmbrucks schätz-
ten sich glücklich, im Quartier Montparnasse ein Heim
gefunden zu haben. Auf betriebsame Geselligkeit scheint
Lehmbruck nicht erpicht gewesen zu sein, aber die Nach-
barschaft anderer Bildhauer in der Nähe der Avenue du
Maine wird ihm zumindest das Gefühl der passenden
Umgebung vermittelt haben.
Wie Frau Lehmbrudc mir erzählte, ging Lehmbruck
die Arbeit keineswegs leicht von der Hand. Insbesondere
hat die Kniende, die ihm ungewöhnliche und schwere
Entscheidungen künstlerischer Art abverlangte, den jun-
gen Bildhauer harte Stunden gekostet. Immer wieder floh
er vor den Problemen, die ihm das Werk aufgab, in die
Einsamkeit des Waldes von Fontainebleau, wo er mit
Frau und Kind stundenlang herumlief, um dann plötz-
lich in die Stadt zurückzueilen, spornstreichs ins Atelier
zu stürzen und wie ein Besessener an der begonnenen
Figur weiterzuarbeiten.
Die innere Unruhe und Zerrissenheit Lehmbrucks wäh-
rend der Genesis der Knienden steigerten sich fast zum
Unerträglichen, als der Zeitpunkt des Gießens herankam.
Lehmbruck zögerte den Guß hinaus, da er glaubte, an
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