STILKRITIK
Überdies interessiert die Zeichnung bei der stilkriti-
schen Untersuchung der Knienden im Verhältnis zu
anderen Arbeiten des Künstlers, denn sie zeigt die Knie-
ende sozusagen in ihrem naturalistischen Vorstadium, mit
Schattierungen zur Betonung des Plastischen, noch ohne
die verhüllende Drapierung der Beine und vor allem
ohne die spätere expressive Streckung der Glieder. Aus
letzterem darf man schließen, daß die Veränderung der
Proportionen von Lehmbruck erst im Prozeß des Mo-
dellierens als bildnerische Notwendigkeit erkannt und
realisiert worden ist.
In den ersten Pariser Jahren hat sich Lehmbruck viel
mit dem Thema der Knienden beschäftigt. Außer der Ra-
dierung „Mutter und Kind“ von 1910 (Abbildung bei
A. Hoff, Seite 102), in der die Mutter kniend, und zwar
fast im Profil von links, dargestellt ist, so daß man auch
darin eine Vorstufe zum Bildwerk annehmen könnte,
gibt es eine andere Sepiazeichnung im Nachlaß (Abb. 13),
die allerdings schon 1912 datiert ist und mit flüchtigen
Strichen das Thema variiert, wobei die herbe Insich-
gekehrtheit des Bildwerks zu weicher Grazie abgewan-
delt wird. Außerdem wäre auf die Radierung einer großen
Knienden von 1911 (Abb. 14) hinzuweisen, bei der Lehm-
bruck als Graphiker einmal tatsächlich die Komposition
flächig und einansichtig angelegt hat. Auf diesem Blatt
kniet die junge zarte Frau mit beiden Beinen, die in
Profilansicht zu sehen sind, während ihr Oberkörper
frontal auf der Fläche dargestellt ist. Die Haltung beider
Arme ist ebenfalls auf die Fläche bezogen. Das Problem
der plastischen Knienden, das wir eben betrachtet haben,
taucht also hier in Form einer graphischen Projektion
auf. Übrigens nimmt der Lehmbrucksche Druck die Kom-
position eines Steinbildwerks vorweg, das Georg Kolbe
1912 mit dem gleichen Titel „Kniende“ (im Besitz der
Stadt Köln) geschaffen hat und das eindeutig vor Augen
führt, wie eine Plastik aussieht, die in einer einzigen,
vom Künstler vorgeschriebenen Ansicht wirken soll.
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Überdies interessiert die Zeichnung bei der stilkriti-
schen Untersuchung der Knienden im Verhältnis zu
anderen Arbeiten des Künstlers, denn sie zeigt die Knie-
ende sozusagen in ihrem naturalistischen Vorstadium, mit
Schattierungen zur Betonung des Plastischen, noch ohne
die verhüllende Drapierung der Beine und vor allem
ohne die spätere expressive Streckung der Glieder. Aus
letzterem darf man schließen, daß die Veränderung der
Proportionen von Lehmbruck erst im Prozeß des Mo-
dellierens als bildnerische Notwendigkeit erkannt und
realisiert worden ist.
In den ersten Pariser Jahren hat sich Lehmbruck viel
mit dem Thema der Knienden beschäftigt. Außer der Ra-
dierung „Mutter und Kind“ von 1910 (Abbildung bei
A. Hoff, Seite 102), in der die Mutter kniend, und zwar
fast im Profil von links, dargestellt ist, so daß man auch
darin eine Vorstufe zum Bildwerk annehmen könnte,
gibt es eine andere Sepiazeichnung im Nachlaß (Abb. 13),
die allerdings schon 1912 datiert ist und mit flüchtigen
Strichen das Thema variiert, wobei die herbe Insich-
gekehrtheit des Bildwerks zu weicher Grazie abgewan-
delt wird. Außerdem wäre auf die Radierung einer großen
Knienden von 1911 (Abb. 14) hinzuweisen, bei der Lehm-
bruck als Graphiker einmal tatsächlich die Komposition
flächig und einansichtig angelegt hat. Auf diesem Blatt
kniet die junge zarte Frau mit beiden Beinen, die in
Profilansicht zu sehen sind, während ihr Oberkörper
frontal auf der Fläche dargestellt ist. Die Haltung beider
Arme ist ebenfalls auf die Fläche bezogen. Das Problem
der plastischen Knienden, das wir eben betrachtet haben,
taucht also hier in Form einer graphischen Projektion
auf. Übrigens nimmt der Lehmbrucksche Druck die Kom-
position eines Steinbildwerks vorweg, das Georg Kolbe
1912 mit dem gleichen Titel „Kniende“ (im Besitz der
Stadt Köln) geschaffen hat und das eindeutig vor Augen
führt, wie eine Plastik aussieht, die in einer einzigen,
vom Künstler vorgeschriebenen Ansicht wirken soll.
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