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Zweites Kapitel.
Gründe für eine solche Meinung beibringen. Ich brauche vielleicht
nicht so weit zu gehen wie ein witziger ethnologischer Freund von
mir, welcher behauptet, die Existenz wilder Stämme, welche ihre
Frauen nicht küssen, sei ein Beweis eines uralten barbarischen Zu-
standes, denn, sagt er, wenn sie es je aus Erfahrung gekannt hätten,
so würden sie es unmöglich haben verlernen können. Da uns schliess-
lich die Erfahrung lehrt, dass die Künste des civilisirten Lebens
nach einander verschiedene Stufen der Vervollkommnung durch-
laufen, und hauptsächlich weil wir dies wissen, so können wir
annehmen, dass auch die erste Entwicklung selbst wilder Künste
einen ähnlichen Weg zurückgelegt hat, und wenn wir nun bei den
niederem Rassen verschiedene Stadien einer Kunst finden, so können
wir diese in der Reihenfolge zusammenstellen, wie sie wirklich in
der Geschichte auf einander gefolgt sein werden. Wenn sich eine
Kunst bei wilden Stämmen bis zu einem rudimentären Zustande
zurück verfolgen lässt, auf welchem ihre Erfindung keine höhern
geistigen Kräfte vorausgesetzt, und namentlich wenn sie durch Nach-
ahmung der Natur oder durch Befolgung eines direkten Winkes
derselben hervorgerufen sein kann, so hat man guten Grund anzu-
nehmen, dass man den wirklichen Ursprung der Kunst erreicht hat.
Professor Nilsson ist bei der auffallenden Aehnlichkeit der
Jagd- und Fischereigeräthe der niedrem Menschenrassen der Ansicht,
dass sie instinktiv durch eine Art natürlicher Nothwendigkeit
ersonnen sind. Als Beispiel wählt er Bogen und Pfeill)- Die Wahl
scheint uns etwas unglücklich zu sein, angesichts der Thatsache,
dass der angenommene Bogen- und Pfeil- Bereitung»-Instinkt den
Eingeborenen Australiens, denen er sehr nützlich gewesen sein
würde, fehlt, während wir bei den papuanischen Eingebornen der
Neu-Hebriden Grund haben ihn für nicht ursprünglich zu halten,
weil der Bogen dort fana, pena, afanga etc. heisst, Namen, welche
offenbar dem malayischen panah entnommen sind und also auf
einen malayischen Ursprung des Instruments hin weisen. Mir scheint,
dass Dr. Klemm in seiner Abhandlung über Werkzeuge und Waffen
und Colonel Lane Fox in seinen Vorlesungen über die Anfänge
der Kriegskunst einen lehrreichem Weg einschlagen, indem sie die
früheste Entwicklung der Künste nicht auf einen blinden Instinkt,
sondern auf eine Auswahl, Nachahmung und allmähliche Anpassung
und Vervollkommnung der Gegenstände und Kräfte, welche die
x) Nilsson, ,, Urbewohner. Skandinaviens“ (cd. Lubbock p. 104).
Zweites Kapitel.
Gründe für eine solche Meinung beibringen. Ich brauche vielleicht
nicht so weit zu gehen wie ein witziger ethnologischer Freund von
mir, welcher behauptet, die Existenz wilder Stämme, welche ihre
Frauen nicht küssen, sei ein Beweis eines uralten barbarischen Zu-
standes, denn, sagt er, wenn sie es je aus Erfahrung gekannt hätten,
so würden sie es unmöglich haben verlernen können. Da uns schliess-
lich die Erfahrung lehrt, dass die Künste des civilisirten Lebens
nach einander verschiedene Stufen der Vervollkommnung durch-
laufen, und hauptsächlich weil wir dies wissen, so können wir
annehmen, dass auch die erste Entwicklung selbst wilder Künste
einen ähnlichen Weg zurückgelegt hat, und wenn wir nun bei den
niederem Rassen verschiedene Stadien einer Kunst finden, so können
wir diese in der Reihenfolge zusammenstellen, wie sie wirklich in
der Geschichte auf einander gefolgt sein werden. Wenn sich eine
Kunst bei wilden Stämmen bis zu einem rudimentären Zustande
zurück verfolgen lässt, auf welchem ihre Erfindung keine höhern
geistigen Kräfte vorausgesetzt, und namentlich wenn sie durch Nach-
ahmung der Natur oder durch Befolgung eines direkten Winkes
derselben hervorgerufen sein kann, so hat man guten Grund anzu-
nehmen, dass man den wirklichen Ursprung der Kunst erreicht hat.
Professor Nilsson ist bei der auffallenden Aehnlichkeit der
Jagd- und Fischereigeräthe der niedrem Menschenrassen der Ansicht,
dass sie instinktiv durch eine Art natürlicher Nothwendigkeit
ersonnen sind. Als Beispiel wählt er Bogen und Pfeill)- Die Wahl
scheint uns etwas unglücklich zu sein, angesichts der Thatsache,
dass der angenommene Bogen- und Pfeil- Bereitung»-Instinkt den
Eingeborenen Australiens, denen er sehr nützlich gewesen sein
würde, fehlt, während wir bei den papuanischen Eingebornen der
Neu-Hebriden Grund haben ihn für nicht ursprünglich zu halten,
weil der Bogen dort fana, pena, afanga etc. heisst, Namen, welche
offenbar dem malayischen panah entnommen sind und also auf
einen malayischen Ursprung des Instruments hin weisen. Mir scheint,
dass Dr. Klemm in seiner Abhandlung über Werkzeuge und Waffen
und Colonel Lane Fox in seinen Vorlesungen über die Anfänge
der Kriegskunst einen lehrreichem Weg einschlagen, indem sie die
früheste Entwicklung der Künste nicht auf einen blinden Instinkt,
sondern auf eine Auswahl, Nachahmung und allmähliche Anpassung
und Vervollkommnung der Gegenstände und Kräfte, welche die
x) Nilsson, ,, Urbewohner. Skandinaviens“ (cd. Lubbock p. 104).