Mythologie.
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englische „werewolf“, das heisst „Menschenwolf“ (der „verevulf“
in Cnuts Gesetz), erinnert uns noch an einen alten Glauben in
unserm eigenen Vaterlande, und wenn es seit Jahrhunderten im
englischen Volksleben nur eine untergeordnete Stellung einge-
nommen hat, so liegt das nicht sowohl daran, dass der Aberglaube
dort fehlt, als vielmehr daran, dass es dort keine Wölfe mehr giebt.
Um ein Ueberlebsel dieser Idee, übertragen auf ein anderes Thier,
in der modernen Hexenverfolgung zu kennzeichnen, möge folgende
schottische Geschichte dienen. Bei Thurso plagten einige Hexen
lange Zeit hindurch einen ehrlichen Kerl unter der üblichen Form von
Katzen, bis er sie einmal in der Nacht mit seinem Schlachtschwerte
in die Flucht trieb, und einer, welche weniger schnell als die übrigen
war, ein Bein abhieb; als er es aufhob, fand er zu seinem Erstaunen,
dass es das Bein einer Frau sei, und am nächsten Morgen erkannte
er dessen Besitzerin in einer alten Hexe, die nur noch ein Bein hatte.
In Frankreich hat das Geschöpf einen Namen, der historisch mit
unserm „Währwolf“ identisch ist, nämlich in früheren Formen „ge-
rulphus“, „garoul“, und jetzt pleonastisch „loup-garou“. Das Parla-
ment der Francbe-Comte erliess im Jahre 1573 ein Gesetz, nach dem
die Währwölfe vertrieben werden sollten; 1598 gab der Währwolf von
Angers Beweis davon, dass seine Hände und Füsse sich in Wolfs-
klauen verwandelten; 1603 erklärte in dem Processe von Jean Grenier
der Richter, dass Lykanthropie eine verrückte Täuschung, aber kein
Verbrechen sei. 1658 konnte eine französische satirische Schil-
derung eines Schwarzkünstlers noch folgenden vollständigen Bericht
von dem Hexenwährwolf geben: „Ich lehre die Hexen, die Gestalt
von Wölfen anzunehmen und Kinder zu essen, und wenn irgend
einer ein Bein abgehauen wird (und-es erweist sich, dass dieses
eine ein Menschenarm ist), so verlasse ich sie, nachdem sie ent-
deckt sind und lasse sie in der Gewalt des Gerichtes“. Selbst
in unsern Tagen ist die Vorstellung bei den französischen Bauern
noch durchaus nicht erloschen. Es sind noch nicht zehn Jahre
her, als es Mr. Baring-Gould in Frankreich unmöglich war, nach
Dunkelwerden einen Führer über einen einsamen Platz zu be-
kommen, der von einem loup-garou unsicher gemacht wurde, ein
Vorfall, der ihn später veranlasste, sein „Book of Werewolves“ zu
schreiben, eine Monographie über diese merkwürdige Vereinigung
von Sage und Tollheit1).
’J Sammlungen von europäischen Erscheinungen siehe bei Baring-Gould, „
Book
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englische „werewolf“, das heisst „Menschenwolf“ (der „verevulf“
in Cnuts Gesetz), erinnert uns noch an einen alten Glauben in
unserm eigenen Vaterlande, und wenn es seit Jahrhunderten im
englischen Volksleben nur eine untergeordnete Stellung einge-
nommen hat, so liegt das nicht sowohl daran, dass der Aberglaube
dort fehlt, als vielmehr daran, dass es dort keine Wölfe mehr giebt.
Um ein Ueberlebsel dieser Idee, übertragen auf ein anderes Thier,
in der modernen Hexenverfolgung zu kennzeichnen, möge folgende
schottische Geschichte dienen. Bei Thurso plagten einige Hexen
lange Zeit hindurch einen ehrlichen Kerl unter der üblichen Form von
Katzen, bis er sie einmal in der Nacht mit seinem Schlachtschwerte
in die Flucht trieb, und einer, welche weniger schnell als die übrigen
war, ein Bein abhieb; als er es aufhob, fand er zu seinem Erstaunen,
dass es das Bein einer Frau sei, und am nächsten Morgen erkannte
er dessen Besitzerin in einer alten Hexe, die nur noch ein Bein hatte.
In Frankreich hat das Geschöpf einen Namen, der historisch mit
unserm „Währwolf“ identisch ist, nämlich in früheren Formen „ge-
rulphus“, „garoul“, und jetzt pleonastisch „loup-garou“. Das Parla-
ment der Francbe-Comte erliess im Jahre 1573 ein Gesetz, nach dem
die Währwölfe vertrieben werden sollten; 1598 gab der Währwolf von
Angers Beweis davon, dass seine Hände und Füsse sich in Wolfs-
klauen verwandelten; 1603 erklärte in dem Processe von Jean Grenier
der Richter, dass Lykanthropie eine verrückte Täuschung, aber kein
Verbrechen sei. 1658 konnte eine französische satirische Schil-
derung eines Schwarzkünstlers noch folgenden vollständigen Bericht
von dem Hexenwährwolf geben: „Ich lehre die Hexen, die Gestalt
von Wölfen anzunehmen und Kinder zu essen, und wenn irgend
einer ein Bein abgehauen wird (und-es erweist sich, dass dieses
eine ein Menschenarm ist), so verlasse ich sie, nachdem sie ent-
deckt sind und lasse sie in der Gewalt des Gerichtes“. Selbst
in unsern Tagen ist die Vorstellung bei den französischen Bauern
noch durchaus nicht erloschen. Es sind noch nicht zehn Jahre
her, als es Mr. Baring-Gould in Frankreich unmöglich war, nach
Dunkelwerden einen Führer über einen einsamen Platz zu be-
kommen, der von einem loup-garou unsicher gemacht wurde, ein
Vorfall, der ihn später veranlasste, sein „Book of Werewolves“ zu
schreiben, eine Monographie über diese merkwürdige Vereinigung
von Sage und Tollheit1).
’J Sammlungen von europäischen Erscheinungen siehe bei Baring-Gould, „
Book