LuxushoteLNeujahrsnacht
Von John Förste
Zwischen märchenhaften Tischen flirren Herzen.
Toller Wirbel brandet. Jazz. Tanz. Kaviar. Eis.
Blumenmeere, Scheitel, Glatzen, müde Kerzen,
Frauen wunder, süss kandiert und kalt und heiss. —
Dividendenonkels, die nach Fleisch begehren.
Dürre Aushilfskellner futtern heimlich viel.
Junge Gents, die sich aus dunklen Quellen nähren.
.Wundersam gemischt: Prunk-Tinnef. Kitsch und Stil. —?
!
Saxophone zelebrieren jene Messe,
Die ein Austauschmarkt. Champagner? —- Alles da!
Pleitegeier, mit Konfetti um die Fresse,
Torkeln schwerbezecht um eine Tombola . « s
Die Not ist jross . . . und wer lacht, kann lachen!
Und Fasching muss sind, wat kannste machen! —
Vier, sechs, neun Jashähne in jeder Nacht?
Del is halt Berlin, wie et weint — und lacht!
Seltsamer Film
(Von der Oberprüfstelle genehmigt)
In die Bendlerstrasse biegt langsam ein Auto, deutsche
Qualitätsmarke, ein und hält vor dem Reichswehr«
ministerium. Ihm entsteigt, in voller Rüstung, Siegfried —
keine Angst, sondern der Drachentöter, und betritt, seinen
Speer leicht schwingend und sein berühmtes Schwert über
den Asphalt nachschleifend, das Haus.
Er trällert, um das deutsche Ansehen im Ausland nicht
zu gefährden, die Marseillaise.
Zu gleicher Zeit biegt langsam ein Auto, deutsche
Qualitätsmarke, in die Wilhelmstrasse ein und hält vor
dem Auswärtigen Amt. Ihm entsteigt im grossen,
schwarzen Schlapphut — keine Angst, sondern Wotan
selbst.
Auf der linken Schulter sitzt ihm ein Rabe, auf der
rechten ein Hakenkreuz, seine Sandalen sind genagelt.
Er betritt das höhe Haus, Wobei er, aus Rücksicht auf
das Ausland, „God save the king“ trällert.
Dann bricht über Berlin ein furchtbares Unwetter los,
Blitze zucken, Minister, Generäle und Geheimräte eilen
unerschrocken durch die Strassen, um nach dem Rechten
ZU sehen, ohne sich darum zu kümmern, was die Linke tut.
Inzwischen aber sieht man Siegfried den Drachentöter
ftn Wehrministerium ans Telephon eilen, man hört ihn das
Aussenministerium verlangen, wo hinwiederum Wotan ans
Telephon eilt und in die Muschel ruft: „Im Westen nichts
Neues?“, worauf Siegfried antwortet: „Nein, göttliche
Majestät, genau noch so wie , 1914‘.“
Darauf sieht man Wotan in tiefe Gedanken versinken,
seinen Raben trübe blinzeln und das Hakenkreuz erglühen.
Siegfried dagegen findet im Reichswehrministerium
einen dicken Akt, auf dem steht: „Kriegs- oder Friedens»
film?“, bindet ihn sich auf seine verwundbare Stelle
zwischen den beiden Schulterblättern und begibt sich da-’
mit schnurstracks, trotz Gewitter und Regen, um das Aus-
land nicht zu kränken, an den Pilsner Urquell, wo Hagen
auf ihn wartet.
Wotan dagegen bleibt im Reichsaussenministerium, um
das Ansehen des Deutschtums im Ausland nicht zu ge-
fährden, und wartet darauf, b:s er als Edelkomparse
Schulter an Schulter mit Otto Gebühr an einem Film-
stammtisch sitzen darf oder gar als Gutachter bei der Film-
prüfstelle zugelassen wird.
Das Unwetter über Berlin verzieht sich, Minister,
Generäle und Geheimräte kehren beruhigt in ihre Aemter
zurück. Ueber dem Brandenburger Tor glüht die Sonne,
während durch dasselbe, Arm in Arm, der Alte Fritz und
Seldte heldisch einher wandeln.
Harry Liedtke schneidet Brot
Im Cafe „Heinrichshof“ sprach man neulich von dem
gerade in Wien gastierenden Harry Liedtke.
„Kennst du den Liedtke?“ fragten die Stammtischler
Maxi Blau, den Souffleur und Münchhausen der Staats-
oper, der so schrecklich gern in mehr oder mihder ver-
bürgten „Erinnerungen“ schwelgt.
„Ob ich ihn kenn’“, sagte Maxi, „ich war doch seiner-
zeit — so vor zwanzig Jahren — mit dem Harry zusamm’
engagiert! Herrgott, das waren noch schöne Zeiten! Da-
mals hab’ ich eine Freundin gehabt, eine bildschöne
Person, und der Liedtke hat auch eine Freundin gehabt,
und ein Automcbil auch, und da sind wir oft am Sonntag
zu viert über Land gefahren. Der Harry hat chauffiert,
und zum Essen ham w’r uns immer reichlich mitgenommen,
denn damals hat’s auf den Landstrassen noch nicht so viel
Wirtshäuser gegeben. No, einmal harn’ wir wieder ein
schönes Platzerl für unser Picknick gefunden, da fragt
mich der Harry auf einmal: ,Maxl, hast du ein Taschen-
messer?* — .Nein!* sag’ ich drauf. — Sagt der Harry:
.Dann schaun wir schön aus — ich hab’ auch keins!*-
Das war natürlich sehr peinlich gewesen, denn man kann
doch , das Brot nicht mit die schmutzigen Händ’ zer-
brer' en, und Wurst und Käs’ ohne Brot essen, kann man
auch nicht.“
Der „ Ulk“ wünscht
Zeichnungen von Walter Herzberg
Berlin den grössten Oberbürgermeister der Welt —t
Herrn Brüning ein kräftiges Ross, mit dem er alle
Hindernisse nehmen kann —
dem Finanzminister Dietrich die Ankunft eines
Extrazuges aus der Schweiz —
den Filmprüfstellen den Kaiser Barbarossa
als Sachverständigen —
Herrn Seldte eine neue Uniform als
Gajus Julius Cäsar —
den Nazis Weiterhin erfolgreiche Bekämpfung
des Kapitalismus.
„Red’ nicht so lang herum“, unterbrachen ihn die
Freunde, „und sag' endlich, wie ihr das Brot doch aus-
einandergekriegt habt!“
„Der Harry hat’s mit seiner Bügelfalte zerschnitten!“
Arbeit macht das Leben süss
An eine alleinstehende Villa kommt ein herkulisch ge-
bauter Bettler. Die erschrockene Dame des Hauses wagt
nickt, i’ n abzuweisen und sagt: „I ieber Mann, Geld habe
ich nicht im I lause, ich Müde ihnen aber ein gutes Mittag-
essen geben, dazu sogar eine Flasche Wein, aber Sie
könnten dafür etwas tun. Wir haben hier so viele Ratten,
da könnten Sie wohl mit Ihrem schweren Knüppel, den Sie
da tragen, eine Anzahl totschlagen.“ „Is gemacht, Madam,
is gemacht.“ Er speist mit grossem Behagen, trinkt die
Flasche bis auf den letzten Tropfen leer, dann wischt er
sich mit dem linken Aermel über den martialischen
Schnurrbart, ergreift mit der Rechten seinen Knüppel und
sagt: ,To, jn"dipe Frau, nun bringen Sie mir aber mal
schnell die Ratten!“
Von John Förste
Zwischen märchenhaften Tischen flirren Herzen.
Toller Wirbel brandet. Jazz. Tanz. Kaviar. Eis.
Blumenmeere, Scheitel, Glatzen, müde Kerzen,
Frauen wunder, süss kandiert und kalt und heiss. —
Dividendenonkels, die nach Fleisch begehren.
Dürre Aushilfskellner futtern heimlich viel.
Junge Gents, die sich aus dunklen Quellen nähren.
.Wundersam gemischt: Prunk-Tinnef. Kitsch und Stil. —?
!
Saxophone zelebrieren jene Messe,
Die ein Austauschmarkt. Champagner? —- Alles da!
Pleitegeier, mit Konfetti um die Fresse,
Torkeln schwerbezecht um eine Tombola . « s
Die Not ist jross . . . und wer lacht, kann lachen!
Und Fasching muss sind, wat kannste machen! —
Vier, sechs, neun Jashähne in jeder Nacht?
Del is halt Berlin, wie et weint — und lacht!
Seltsamer Film
(Von der Oberprüfstelle genehmigt)
In die Bendlerstrasse biegt langsam ein Auto, deutsche
Qualitätsmarke, ein und hält vor dem Reichswehr«
ministerium. Ihm entsteigt, in voller Rüstung, Siegfried —
keine Angst, sondern der Drachentöter, und betritt, seinen
Speer leicht schwingend und sein berühmtes Schwert über
den Asphalt nachschleifend, das Haus.
Er trällert, um das deutsche Ansehen im Ausland nicht
zu gefährden, die Marseillaise.
Zu gleicher Zeit biegt langsam ein Auto, deutsche
Qualitätsmarke, in die Wilhelmstrasse ein und hält vor
dem Auswärtigen Amt. Ihm entsteigt im grossen,
schwarzen Schlapphut — keine Angst, sondern Wotan
selbst.
Auf der linken Schulter sitzt ihm ein Rabe, auf der
rechten ein Hakenkreuz, seine Sandalen sind genagelt.
Er betritt das höhe Haus, Wobei er, aus Rücksicht auf
das Ausland, „God save the king“ trällert.
Dann bricht über Berlin ein furchtbares Unwetter los,
Blitze zucken, Minister, Generäle und Geheimräte eilen
unerschrocken durch die Strassen, um nach dem Rechten
ZU sehen, ohne sich darum zu kümmern, was die Linke tut.
Inzwischen aber sieht man Siegfried den Drachentöter
ftn Wehrministerium ans Telephon eilen, man hört ihn das
Aussenministerium verlangen, wo hinwiederum Wotan ans
Telephon eilt und in die Muschel ruft: „Im Westen nichts
Neues?“, worauf Siegfried antwortet: „Nein, göttliche
Majestät, genau noch so wie , 1914‘.“
Darauf sieht man Wotan in tiefe Gedanken versinken,
seinen Raben trübe blinzeln und das Hakenkreuz erglühen.
Siegfried dagegen findet im Reichswehrministerium
einen dicken Akt, auf dem steht: „Kriegs- oder Friedens»
film?“, bindet ihn sich auf seine verwundbare Stelle
zwischen den beiden Schulterblättern und begibt sich da-’
mit schnurstracks, trotz Gewitter und Regen, um das Aus-
land nicht zu kränken, an den Pilsner Urquell, wo Hagen
auf ihn wartet.
Wotan dagegen bleibt im Reichsaussenministerium, um
das Ansehen des Deutschtums im Ausland nicht zu ge-
fährden, und wartet darauf, b:s er als Edelkomparse
Schulter an Schulter mit Otto Gebühr an einem Film-
stammtisch sitzen darf oder gar als Gutachter bei der Film-
prüfstelle zugelassen wird.
Das Unwetter über Berlin verzieht sich, Minister,
Generäle und Geheimräte kehren beruhigt in ihre Aemter
zurück. Ueber dem Brandenburger Tor glüht die Sonne,
während durch dasselbe, Arm in Arm, der Alte Fritz und
Seldte heldisch einher wandeln.
Harry Liedtke schneidet Brot
Im Cafe „Heinrichshof“ sprach man neulich von dem
gerade in Wien gastierenden Harry Liedtke.
„Kennst du den Liedtke?“ fragten die Stammtischler
Maxi Blau, den Souffleur und Münchhausen der Staats-
oper, der so schrecklich gern in mehr oder mihder ver-
bürgten „Erinnerungen“ schwelgt.
„Ob ich ihn kenn’“, sagte Maxi, „ich war doch seiner-
zeit — so vor zwanzig Jahren — mit dem Harry zusamm’
engagiert! Herrgott, das waren noch schöne Zeiten! Da-
mals hab’ ich eine Freundin gehabt, eine bildschöne
Person, und der Liedtke hat auch eine Freundin gehabt,
und ein Automcbil auch, und da sind wir oft am Sonntag
zu viert über Land gefahren. Der Harry hat chauffiert,
und zum Essen ham w’r uns immer reichlich mitgenommen,
denn damals hat’s auf den Landstrassen noch nicht so viel
Wirtshäuser gegeben. No, einmal harn’ wir wieder ein
schönes Platzerl für unser Picknick gefunden, da fragt
mich der Harry auf einmal: ,Maxl, hast du ein Taschen-
messer?* — .Nein!* sag’ ich drauf. — Sagt der Harry:
.Dann schaun wir schön aus — ich hab’ auch keins!*-
Das war natürlich sehr peinlich gewesen, denn man kann
doch , das Brot nicht mit die schmutzigen Händ’ zer-
brer' en, und Wurst und Käs’ ohne Brot essen, kann man
auch nicht.“
Der „ Ulk“ wünscht
Zeichnungen von Walter Herzberg
Berlin den grössten Oberbürgermeister der Welt —t
Herrn Brüning ein kräftiges Ross, mit dem er alle
Hindernisse nehmen kann —
dem Finanzminister Dietrich die Ankunft eines
Extrazuges aus der Schweiz —
den Filmprüfstellen den Kaiser Barbarossa
als Sachverständigen —
Herrn Seldte eine neue Uniform als
Gajus Julius Cäsar —
den Nazis Weiterhin erfolgreiche Bekämpfung
des Kapitalismus.
„Red’ nicht so lang herum“, unterbrachen ihn die
Freunde, „und sag' endlich, wie ihr das Brot doch aus-
einandergekriegt habt!“
„Der Harry hat’s mit seiner Bügelfalte zerschnitten!“
Arbeit macht das Leben süss
An eine alleinstehende Villa kommt ein herkulisch ge-
bauter Bettler. Die erschrockene Dame des Hauses wagt
nickt, i’ n abzuweisen und sagt: „I ieber Mann, Geld habe
ich nicht im I lause, ich Müde ihnen aber ein gutes Mittag-
essen geben, dazu sogar eine Flasche Wein, aber Sie
könnten dafür etwas tun. Wir haben hier so viele Ratten,
da könnten Sie wohl mit Ihrem schweren Knüppel, den Sie
da tragen, eine Anzahl totschlagen.“ „Is gemacht, Madam,
is gemacht.“ Er speist mit grossem Behagen, trinkt die
Flasche bis auf den letzten Tropfen leer, dann wischt er
sich mit dem linken Aermel über den martialischen
Schnurrbart, ergreift mit der Rechten seinen Knüppel und
sagt: ,To, jn"dipe Frau, nun bringen Sie mir aber mal
schnell die Ratten!“