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»I«. Ä18. WokHenblatt o-vis«Kst« ^LkrA!w§. Dienstag, 3. August 1886

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^rEburg; 444?V LZ44-44S 44SN44444. ^ ^vrnoüsrsi.

sLz, L?Lris. br. Lsodtzvlisiruorslir. 37.

Ii attltfrirt, 2. Attgrrst.

Der Erzherzog Karl Ludwig nebst Gemahlin ist
gestern von dem Kaiser Alexcmder III. i» Peterhof feier-
lich empfangen worden, allein das offiziöse Organ dcs
russischen auswärtigen Amtes beeilt sich, die Reise des
ältesten Bruders des österreichischen Kaisers an den rnssi-
schen Hof als einen blosen Akt der Höflichkeit darzustellen
und es ist hiebei nicht einmal von den freniidschaftlichen
Veziehnngen zwischen dem russischen und dem österreichi-
schen Kaiserhanse, sondern nur von der Freundschcift zwi-
schm dem Zaren und dem Erzherzoge Karl Ludwig die
Rede. Trotz dieses diplomaiischeu Geredes braucht man
uicht zu glcmbm, dnß die Reise dcs ErzherzogS nach
Peterhof keiue politische Bedmtung habe, denn derselbs
würde die Fahrt nicht unternoiiiiiim haben, weim seine
persönliche Freundschaft zum Zaren nicht den augenblick-
lichen Bezichungm zwischen den beide» Reichen ent-
spräche. Oder ist die Zurückhaltung des Petersburger
Offlziösm vielleicht dadnrch bedingt, daß der Erzherzog
rnit einer besonderen politischenMission betraut ist, von deren
Verlauf es erst abhängt, ob der Reise eine größere Bedeu-
tnng beigelegt werden soll? Auffällig ist es allerdmgs,
d.iß die Hetzereien der russischen Presse fich viel weniger
gegen Oesterreich-Ungarn als gegen Deutschland richten,
obgleich doch der Gegmsatz zwischm Rußland und
Deutschland zum größten Theil nur durch das Ein-
vernehmen des letzterm mitOesterreich-Ungarn bedingt ist.

Es ist bekannt, daß die Verstimmung der iiicißgebm-
den PeterSburger Kreise, sowie der russischen Politiker
überhaupt gegm Deutschland durch den für sie so uncm-
gmehmm Verlauf des Berliner Kongresses hervorgerufen
wordm ist. Man legt mm einmal in Rußlcmd den da-
inaligm Mißerfolg der zarischen Diplomatie dem Fürsten
Bismarck beziehungsweise Dmtschland zur Last, obgleich, wie
Jedermann Weiß, das gerade Gegentheil richtig ist, d. h.
daß die Vertreter Deutschlands stets so weit als niöglich
für die russischen Anträge eingetreten sind. Je klarer es
dem Kaiser Alexander U. selbst wurde, daß er sich durch
dic lühle HaltungOesterrrich-Uiigarns mid das Bramar-
basiren der Lords Beaconsfield nnd Salisbury hatte ins
Bockshorn jagen lassen, desto größer wurde sein Zorn
gegen den Fürsten Bismcirck, vm welchem er eben sehr
mit Unrecht erwartet halte, daß er den Einfluß Dmtsch-
lands zu Gunsten auch dcr durchcms ungerechtfertigten
Forderungen Nußlands geltend niachm werde. Seitdem
hat die rusfische Presse, mit mehr oder weniger Freiheit
und mit kurzen Unterbrechungm gegen der Berlinec Ver-
irag und dessm angeblichen Urheber, Deutschlcmd, ge-
tvüthet. „Nichts als der böse Gei'st des Vsrtrages ist noch
am Leben" rief erst dieser Tage die „Nowoje Wremja"
wnthschnaubmd aus, „der Geist der Feindschaft, der
Einmischung und Verletzung unserer geheiligten Jnter-
essen, der Geist, welcher an die Schwäche und Hülflosig-
keit Rußlands glaubt. Die unerbetme Vormundschast
Europas muß ein Ende nehiiien. Unsere Feinde werden,
Weim die Zeit kommt, begreifen, daß die Verletzimg des
Berliner Vertrages nach russischem Vegriffe bedmtet, daß
dieses Dokument der Lüge nnd Gewaltthätigkeit zerrissen
und Europa i»s Angesicht geschlendert wird, wobei die
Winde die Fetzen und den Geist dieses schmach-
vollen, Rnßland u»d allm Slaven verhaßten Dokummtes
davoniragen mögen. Mittlerweile bleibt der Berliner
Vcrtrag, - wie er ist, die formelle Grundlage für den
diplomatischm Verkehr." Aus Vertragstreue hält die rus-
sische Regiernng sicher nicht an dmiselben fest, wie die
Batumfrage gelehrt hat.

Der Abscheu der Russen gegen den Berliner Vertrag
jst leicht zn erklären, allein völlig unverstäiidlich ist die
maßlose Wuth derselben gegen Dmtschland. Wer hin-
dert denn die Rnssen iimerhalb ihrer Grenzen und selbst
außerhalb derselben, sofern Deutschland nicht direkt ge-
schädigt wird, zu thuii, was ihnen beliebt? Deutschland
gewiß nicht. Jn dm Ostseeprovinzen wüthet die russische
Regierung angenblicklich gegen die Deutflhen wir in

einem eroberten Lande — in Dmtschland nimmt iiia»
davon kanm Notiz. Jn den westlichen Provinzen wird
deutsche Geschäftsthätigkeit in uiigerechtester Weise be-
schränkt und gehindert — trotzdem siud es nur vereinzelte
Stimmen in Deutschland, welche deshalb Repressalim
verlangen. Rußlnnd bricht durch Aiifhebnng der Frei-
hafciistellung von Batum dm Verliner Vertrng und be-
droht nnaufhörlich die llncibhäiigigkeit selbstständiger
Staaten im Orient — kein Mensch in Dentschland regt
sich deshalb auf oder sucht den Nussen gar Hindernisse
zu bereitm. Und selbst wenn die zarischen Truppen sich
wieder gcgen Konstcmtinopel in Bewegung setzen wnrden,
wiirden sie auf keinen Widerstand seitens deutscher Trup-
pm stoßen, wenn eine solche Friedenssiörung auch bei
uns unzweifelhaft die härteste Verurtheilmig erfahren
würde. So wenig wie vor zehn Jahren, werden die
Knochm auch nur eines pommerschen Grenadicrs in Ge-
fahr gebracht werdm, um die Russen in ihreiu ertränmten
Siegeslaufe aufznhalten. Wcnn das nicht die Oester-
reicher, Engländer und die kleinen Balkanstaaten selbst
thun — Deutschland thut es gewiß nicht. Was lvollen
also eigmtlich die Russen von uns, da es doch selbst
das Blatt des Herrn Katkow fnr ganz nnwahrscheinlich
hält, daß Dentschland irgend eiiimal Streit mii Niißlnnd
fuchm wollte? „Aber wemi England", so sollm die
„Moskowskija Wjedomosti" nach eiuem telegraphischen
Resume eines vorgestern veröffmtlichten ArtikelS sagen,
„wemi England, was wohl möglich ist, mit mis im
nahen oder fernen Osten kollidirte, so Ivürde das jetzige
Frankreich, welches zn Englaiid fast in nicht geringerem
Gegmsatze als zu Deutschlaiid steht, wcihrscheinlich nicht
müssiger Zuschauer des Kampses bleiben, wvrnbec w!r
zn klagen wahrlich keinen Grund hätten." W!r wahr-
scheinlich auch nicht, dmn was die Franzosen mit den
Engläiidern auszmnacheii habm, interessirt mis nur un-
mittelbar.

Seltsam! Diesm Gedankciigaiig glaubcn wir schon
in cinigen der französischen Regiernng nahcsteheiidm
Blättern gefnnden zu haben. Es hnt den Anschein, alS
ob von französischer Seite d!e Ruise» durch deu Hinweis
auf einm Konflikt m!t Eiigland, welches jetzt angeblich
Dentschland und Oesterrcich-Ungarii näher steht alS Nuß-
land, mit dem Gedciiikm vertrant gemacht werden sollen,
daß ihre einzigm zuverlässigm Buudesgciiossm die Fran-
zosen seim. Äuch die ,,Moskowskija Wjedoiiiosti" scheine»
es zu glanbm. Ergötzlich abcr ist es, wie maii sichjetzt
auf frnnzösischer Seite bemiiht, die russische Politik als
eine außerordmtlich friedliebende darzusiellen, während
,,der Krieg, dm man prophezeit, noch in dem Nebel des
Nheines liegt", wie die „Liberte'" sich poetisch ausdrückt.
Von diesem Nebel sehen andere Leute nichts. Der Zar,
meint dasselbe Blatt, sei zn vorflchtig nnd Herr v. Giers
zu hellsehend, nm im Oricnt Veiwickelungeu hervoczu-
rufen, i» welchen Rnßland alleinstehcnd, zwischm Dentsch-
land und Oesterreich-Urgnrn erdrückt würde. Rnßland
habe mit seiner zwanzigjährigeii Sammluiig ncich Ssewa-
stopol gezeigt, daß es warten könne: es werde wartm,
dmn die Geduld sei eine slawische Tngcnd. Nicht aber
die Mäßigkeit. Soiistj würde weder von „gewissm, un-
schwer vorherznsehenden Zwischmfällm", von welchm ein
französischer Ofsiziöser phaiitasirt, noch von einem fran-
zösisch-riissischen Büiidnisse die Rede sein kömie», welches
dm rnssischm Chanviiiistm den Schlaf raubt. Jhnen ist
das Wartm, welches ihre frcmzösischm Freunde ihnen
predigen, ein Greuel. „Wenn man dieWiederherstellung
der orleanistischen Monarchie erst abwarten mnß," ruft
verzweifelt die „Nowoje Wremjä" nus, ,,so verliert sich
das französisch-rnssische Bündniß in nebelhafter Ferne.
Jahre könnm vergehen, wir können dnmi noch tange
warten. Gibt incm aber die Möglichkeit eines Bündiiisses
mit der französischen Republik zn, so wird die Gefahr einer
Koalilion reeller. Um diese cibzuwendm, wird aber eine
Vereinbarmig mit Nußland abgeschlossm werden miissen
(näinlich vo» Dmtschland. Red.), cine Vereinbnrimg, die
seiner Würde, sciner Macht nnd seinen Jiiteressen mehr
enisprechm wird, als die Äbiiiachimgen, mit denmman

seit dem Berliner Kongreß die russische Politik gefüttert
hat." Das lttßt tief blicken!

Der Zweck der rnssischm Treibereim ist also folgen-
der: Deutschland soll durch die Aussicht auf ein rnssisch-
französisches Bündniß erfchreckt und zu Konzessionm an
Rnßlaud bewogm werden. Man verlangt an der Newa
nnd Moskwa mehr als die Erhaltung dcs Friedens von
Seiten des Nachbars, er soll auch seinen Einfluß zur
Befriedigung rnssischer Erobernngsgier geltmd machen.
Möglicherweise ist auch die Einladung des Zaren an den
Erzherzog Karl Ludwig, sich an den Wasserwerkm von
Peterhof zu ergötzen, nur eiu Versnch, Oesterreich-Ungarn
dnrch Versprechungm näher an Rußland heran und von
Deutschlaiid abzuziehen. Es würde das auffällig mit der
von der „Nowoje Wremjä" empfohleneii „Schreck"-
Theorie übereinstiinmen, allein auf Deutschland werden
diese Manöver natürlich keinen Eindruck mcichm. Zunächst
dürfte Frankreich, so lange es Nepnblik bleibt, kaum ge-
neigt sein, mit den Niiffen gemeinsame Sache zu machen,
b.'os uni diesen zu Ko.isiantiiiopel zu verhelfen nnd dann
ist man in Wien und Pest viel zn sehr von der Wirk-
samkeit und Nützlichkeit des Einvernehmens mit Dmtsch-
land überzeiigt, cils daß man auch nur die geringste
Neigung zeigen könnte, sich durch russische Versprechungm
ködern zu lassen. Es bleibt den Russen also, wcnn ihnen
die friedlich-nachbarlichen Beziehuugm zu Deutschland
nicht mehr genügm und das Wnrten ihncn zu lange
wird, nichts anderes übrig, als auf eigmes Nisiko gegm
Konstciniinopsl zu marschiren. Auf die Deut chm werden
sie bei diesem Marsche nicht stoßen, wohl aber auf viele
andere Völkerschafteii, deren Gegiierschcift dem russischen
Ehrgeize viel gefährlicher ist als die deutsche.

Deuisches Re'rch.

K Berlin, 2. Aug„ 9 Uhr Abends. (Telegramm.)
Die Erörtmmgen übcr die Verhältnisse in Bayern
und in Verbiudimg damit über die g eg en w är t i g e Stel-
lnng der Kurie zu Dcutschland, werden in der
Presse Tag sür Tag fortgesetzt. Die „Kreuz.Ztg." wehrt sich
heule gegm den Vorwurf, daß sie die Unterwcrfung unter
Rom begünstigt habc, in ciner Form, welche deutlich erkemim
läßt, daß dicsem Organ der konservativm Partci die Freund-
schaft deSPapstes fürDeutschland anfllngtz unheimlich zu wer-
dm. Sie schreibt in einer Polemik gegen die „National-Ztg.":
Eine Uiiterwersimg unter Rom haben wir nm so weniger
herbeigejammert, als die Vornussetzungm, von denm aus-
schl-eßlich eine Lösung, welcher Art anch immer und wie ihr
Charakter der „Nat.-Ztg." auch erscheinen mag, gewonnen
Iverden müßte, wohl in der That nicht von uns oder unter
unserem Beifall geschasfm stnd. Was nbcr schließlich das
,rners in servitiurn" betrifft, so hat der „Nat.-Ztg.", als sie
nach dieseni Citate griff, allerdings noch nicht die gestcige
Nummer der „Köln. Ztg." vorgelegen, die sich in einem Tele-
arnimn aus Bsrlin melden läßt: „Die Entsendung eines
außerordentlichcn päpstlichen Vertrcters zur Theilnähme an der
Heidelbergcr Jubelfeier hat hier einm ausgezeichneten Eindrnck
gemacht; das Entzücken über diesen neuen „Beweis des Ent-
gegenkommenS des Papstes" ist allerdings mn so gerecht-
fertigter, als dieser vatikanische Delegirte als Ehrengabe
sür die Universität sogar cin Vcrzeichniß von allen
densenigen Handschriften und Büchcrn mitbringt, die in
früheren Jahrhunderten unter allerhand Kriegskünsten und
im Wege dcr mehr oder weniger srciwilligen „Schmkung"
ihrm Weg von HeidelLerg nach oer vatikanischen Bibliothek
geftmdm habcn. Man kann sich das Gliick der Heidelberger
denken, nnn wenigstens ein anthentisches Verzcichniß dicser
ihnen abhandcn gekommenm Bücherschätze von der Hand dessen,
der ihnen die Sorge um ihr früheres Eigenthum freundlich
abgenonnnen hat, zu besitzen." — Die sreikonservative „Post"
bemerkt in Anknüpfnng an eine Aeußerung der „Germania",
wonach die Centrnmspartei sich nicht verpflichtet hat, sür den
Nntrag Hammerstein zu stimmen, Folgmdcs: „Viel-
lcicht handelt es sich um ein cto ut ckes-Geschäft, das die
Ultramontanen der evangelischen Cmtrumspartei unterbreiten
wollen und auf das die „Germania" die Herrm nach und
nach vorbereitm soll, indem sie ihnm andeutet, daß die Ultra-
montanm ihre Dtmste nicht nmsonst zu leisten beabsichtigen.
Man spricht ja jctzt bereits dnvon, daß die Herren Windthorst
und Genossm dcmnüchst mit einem Antrag aus Wiedcrzulassung
der Ordcn, einschließlich des Jesnitenordens, hervortrctm wer-

dm. Möglicher Weise wird dabei auf die Unterstützung der
Freunde des Antrages Hammerstein gerechnet, wenn dafür das
Centrum stch deren Bestrebungen gegenüber unterstützungswillig
zeigt, aber all das soll angenscheinlich erst vorher klipp und
klar abgemacht werden." Man sieht, es herrscht unter den
konservativen Brüdcrn wieder einmal cin recht liebenswnrdiger
Ton. — Der chinesische Gesandte in London, Marquis
Tseng, war mit demhiesigen chinesischen Gesandten gestern zum
Besuch des Geh. Kommerzienraths v. Hansemann auf der Jnsel
Rügen und hat heute anf der Rückreise nach Berlin die Schiffs-
werftcn dcs Stcttiner „Vulkcm" besichtigt. — Einer der auf
der Strecke Grnnewald-Zoologischer Garten seit einiger Zeit
kursirendm Straßendampfbahn-Wagen ist am Sonn-
abmd Abend in einen von 20 Personen besetzten Gesellschafts-
wagen, sogmamiten Kremser, hineingefahren und hat dm-
selben vollftändig zertrümmert. Es wurden acht Personm
schwer verwundet, zwei davon sind bcreits gestorben. Die
Schuld an deni Unglück trifft ausschließlich den Kutscher des
Krenrsers.

* Berlitt, l. Aug. Die Vereinbarnngen von
Aerzten, unter einem gewissm Mindestbetrage an Honorar
keine Stellung als Arzt einer Krankenkasse oder Berufs-
gen ossenschast sür die Unfaüverstcherung zu-übernehmen,
erregten im Deceniber v. I. den lebhasten Tadel des Ministers v.
Bötticher im Reichstag. Darnus hatder deutsche Aerztevereinsbund,
welchem von 15,000deutschen Aerzten 9400 als Mitglieder ange-
hören,eineDenkschrift eingcreicht. — Auf diese Dmkschrist hatdcr
Staatssekretür des Jnnem nnterm 8. Auli eine Antwort an
den Geschäftsausschuß gelangm lassm, der wir nach dec
„Kieler Ztg." Folgendes entnehmen:

Zunächst stellt Herr v. Bötticher die Auffnssung der Denk-
schrift, daß die „Urheber des Gesetzes" in dem Derdruß über die
Schwierigkeiten, welchen die Ausführung des Krankenversiche-
rungsgefetzes begegnet sei, dic Hauptschuld den Aerzten ansge-
bürdet hatten, dahin richtig, daß cr die Ausführung des Gefehes
im Allgemeinen ausdrücklich als eiiie befriedigende bezeichnet und
die schwicrige Lage, in welche einzelne Krankenkassm gerathen
sind, keineswcgs ansschließlich oder auch nur vorzugsweife auf
die zu hohen Kosten der ärztlichen Behandlung zurückgeführt
habe. Als Grund dieser Schwierigkeiten habe er vielmehr ganz
allgemein ein nnzweckmäßiges Verfahrcn der betreffmden Kassen-
vorstände bczeichnet und nur beispielsweiie angeführt, daß hin
u»d wieder den Acrzten zn hohe Honorare bewilligt seien.

Ebensowenig habe er dem ärztlichen Slande im Allgemeinen den
Vorwurf cines rücksichtslosen Verfahrens oder mangelndcr Opfer-
willigkeit gemacht, sondern habe nur von einzelnen Fällen ge-
sprochen, in welchen Aerzte, gestützt auf die bestehende Koalition,
die Zwangslagc der Kassen zur Erlangnng von im Verhältniß zu
den Krüften der Kasscn zu hohen Vergütungcn ausgenützt hütten.

Dicses sei nuch in der Dmtschrifl anerkannt, welche zugibt,

„daß hier und da ein falscher Schriit gethan fei und

es hier und da nn gutem Willen des Entgegenkain-
mens von Seitcn der Aerzre gefehlt haben möge." Der
Herr StaatSsekretär wendet sich sodann zur „Koalition der
Aerzte zum Zweck der Preisfixirnng" und macht darauf aufmerk-
sam, daß es sür die Bmrtheilung dieses Vorganges unwesentlich
ist, ob zn diesem Zwecke ärztliche Koalitivnen entstanden sind
oder ob bereits bestehende Vereinigungen, wie der Aerztevereins-
bnnd und die ärztlichen Vereine, gewisse Normcn sür die abzu-
schließmden Verträge anfgestellt häben. Jn der Denkschrift war
weiterhin crwahiit, daß ter anf dcm Aerztstag vom Jahre 1884
als Nr. 1 gefaßte Beschluß („in crstcr Lini- ist, wo innner dnrch»
führbar, die Bezahiung der Einzelleistung nach der ortsüblichen
Mmimaltaxe anznstreben"), eine „mehr theorctische Bedeutung"
habe. Herr von Wttichcr vermag diese Anffassung nicht zu thei-
len, da die Aufstellung dieses Satzes nur zu dem Zwecke erfolgt
sein könne, mn ihn anzuwenden, und da, wo dies geschehe, die
Anwendnng von crheblicher finanzieller, d. h. praktischer Bedeut-
ung sei. Da diese Kassm selbst bei dürftiger Lage und folge-
weise niedrigster Beitragsleistung ihrer Mitglieder gesetzlich ge-
zwungen seien, denselben srei eärztliche Hülfe zu gewähren, so Le-
fänden sie sich der Koakition der Aerzte gegenüber in einer
Zwangslage, welche zu ihrem Ruin fkhren müsse, wenn die in
Ansatz gebrachten ärztlichen Honorare ohne nlle Rücksicht auf die
unzureichenden Mittel der Kasse festgehalten würden. Angesichts
dieser Zwcmgslage seien die Kassenvorstände nicht nur berechtigt,
sondern sogar verpflichtet, in derselben Weise vorzugehm, wie die
Aerzte, nnd im äußersten Fall würde auch uichts dagegcn zu
erinneru sein, wenn fie sich eine ihren Bedürftüsseu entsprechende
ärztliche Bedienung auf dem Wegs der Submijsion verschaffen,
zumal es sich dabei immer uur um die Dienste staatlich appro-
birter Ncrzte und denmach niemals um die Verweudniig schlecht-
hin uugeeigneter Kräfte handeln würde. Die Behauptung der
Denkjchrift, daß Herr v. Bötticher den Kassmvorständm die Aus-
bietung der Praxis an den Mindestfordernden empfohlen habe,
sei nicht richtig; er habe sich vielmehr anf den Hinweis bc-
fchränkt, daß die Kaffen in dm Fällen, wo sie zu einer Einigung
uüt deu Aerzteu in Folge der Koalition und eiuer unerschwing-
licheu Vergütung nicht gelangeu könuten, sich uicht dürften ab-
halteu lussen, andsre Asrzte gegen ein „angemessenes, ansreichen-
des Honorar" heranzuziehen._

KeMelon.

Das Herdelberger zLnmersitals-
IubiMum.

Hei-elberg, 2. August.

Bei unserer Anknnft in Hcidelberg am Samstag Abcnd
stand heiter lmchtmd ein Regmbogm an dem crblauenden
Himinel. Vom Königsstnhl zum Heiligmberg schwang sich die
schimmernde Briicke, das weite Neckarthal und die Sladt über-
spannmd, die in ihrem prangendcn Fahnenschmuck an heiterem
Glanz welteiferte mit dem Farbenspiel des Regenbogms, der
daS festlich - strahlende Städtebild wundersam harmonisch er-
gänzte. Möchte diese zufällige Erscheinung trotz des heuie wieder
strömmden Rcgms sich noch als gutes Vorzeichen erwcism für
die gcoße Jubiiäums-Festwoche der Heidelberger, auf derm Vor-
bereitung Stadt nnd Univerfttät fo großr Mühm und Opfcr
an Zeit n»d Geld gewendet haben und nun sür die gelungene Ans-
führnng die Gunst des Wetters erhoffen. Einpassendes Wahr-
zeichm diescs Festes war anf alle Fälle gerade am Vorabmd
der Festwoche das heiterc Himnielzeicheu, tvelches von AlterS
her als cin Synibol dcs Friedens lietrachtet wird. Dmn sie
ist vor Allcm cin Fcsl des FriedmZ diefe siinfte Säkulär-
Feier der ältestm Universität des Deutschen Rcichs; nicht an
Errungmschaftm, die nur dnrch blutigen Krieg gewonnen wer-
den konnten, knüpft die Erinnerung an, sondern nn den sried-
lichm Wettstreit der Wissenschaftm, die hier eines Fürstm
mergischcr Geist vor fünshundcrt Jahren zur Universitas einte.
Und sriedlich gecinigt znr Begchnng dcs Festes ftnd dmn
anch alle Elementc und Pnrrcieii, die an demselbm ein Jn-
tcrcsse haben ; dic Vcrtreter deS Siaates wie der Kirche, Katho-
liken und Proteflanten, die Profefforenwelt, die Bürgerschaft
wie die Stndmten; ja sogar die lrennende Macht der Ber-
bindnngsfarben, welche die Corps und Bnrschenschafter sonst
in scindliche Hcerlager sondert, hat sür die Zeit der Jubi-
lämnstage ihre Bedmtung verlorm und eimnüthige Festsrmde
waltet in den Hallen des „Riesensteins" ebenso wie in denen
der „Diemerei". Und ebmso kennt das Fest keine nationalen
Schranken; wie der Papst wird anch die Wissenschaft des
SiuÄands dmch Delegirte vertreten sein; dmn eine Univer-
sität ist eins Pflegftätte der universellen Wiffenschaft, an der
alle Völker Theil habcn, die nach Bildung und Erkenntniß

strebm; mit Heidelberg theilt die Jubilüumsfreiide nicht blos
Baden, nicht nur das Dmtsche Reich, sondern die ganze ge-
bildete Welt, welche beim Hmblick auf die Geschichte dieser
einen Universität mit stolzer Genngthuung empfindet, ivie so
gewaltige Fortschritte unser Wissen und Erkmnm seit jenen
Zeiten gemacht hat, da sich der Hmnanismus ans den Ban-
den der Scholastik losrang.

Und wie es ein Fest des Friedens ist, so ist es ein Fcst
der Freundschast. Man muß sie sehm, diese Scenm des
Wiedeisebms auf dem Bahnhof, auf offener Straße, oder gnr
in dm Kneiplokalen der einzelnen Verbindungm. Wie die
aktivm Studcnten ihre „altm Häuser" gleich bei der Ankmift
jubclnd begrüßen, ivie sie dieselben stolz und froh durch die
festlich geschmückten Straßen geleitcn; mit welch' strahlmdem
Behagen graubärtige Männer auf dem „bmwosten" Haupte
die farbige Mütze tragen, die sür sie das Symbol ihrer schön-
stcn Jugenderinnerungen geworden ist. Und sie werden lebendig,
diese Erinnerungen; von den jugendlich-frisch hinströmenden
Flnthm des Recknrs rauscht's heranf, aus den Wipfeln der
grünm Eichen und Bnchm anf dem Schloßberg, ans dm altm
gar wohlbekanntcn Gassen, wo man cinst scine Kneipe, seine
„Bude" hatte, aus dcn ehrwürdigm Sülen der Univcrsität,
auf deren Bänken man einst lauschend gesessm, klingt es heim-
lich entgegen, das Lied von der alten Burschmherrlichkeit, die
man einst in blühmdcr Jügend hicr in der schönm Neckar-
stadt durchlebt, und vor die Seele treten die Bilder jener
Tage, an die der Mensch um so sehnsüchtiger znrückdmkt, je
älter cr ivird. Und mit den Erinnerungen kommt die Jugend
selber wieder; die MuSkeln straffm sich zn sorscherer Haltnng,
zu flottcrem Gang; nicht uur im Gedächtniß, auch iu der
Kchle, aus den Lippm werdm die alten Lieder lebendig, in
dmm die dmtsche Burschenlust von jcher sich ansgejauchzt hat,
— die „Feierklänge der Brudcrliebe", tvie Wilhelm Hauff so
schön sagt, — und der „alteHerr" singt und trinkt wieder fidel
wie ein jmiger Bursch, der gestern noch „Fuchs" >var. „Die
alte Schale nur ist fern, gcbiiebm ist nns dochderKern!" —
Ans wie vielm jugmdlich verklürten Augcn habe ich das tröst-
liche Gefühl dieser Worte schon herauslesm könnm beim
Durchwandmi dcr Straßen Alt-Heidelbergs, in denm bereits
am Samstag Abend das regstc Leben herrschtc, während doch
die eigentliche Jubilümnsseier erst hcute, am Montag Abend,
mit dem Empfang dcr Festgäste durch die Bertreter der Stadt
in der Festhallc beginnm soll.

Diese Festhalle ist nach dm Planen des badischm
Oberbauraths Durm auf dem sogmanntm Lauerplatz,

dicht am Ufer des Neckars, zwischm der Nenenhcinier und der
Karlsbrücke, also in vorzüglicher Lage erbaut worden. Sie
macht in ihrcr fnrbig reich dekorirten Holzkonstrnktion eincn
festlichm, lustigm Eindruck mid entspricht nammtlich auch in
ihrer inneren Anlage den Zwccken, welchen sic dimen soll.
5000 Personen können in ihr hequem Platz zmn Sitzm an
den 158 langen Taseln finden, wenn hmte Abend dic erste
Versammlung der Festtheilnehmer den Reigen der Festlichkeitm
eröfsnet. Die Halle hat eine dreischisfiae basilikale Anlage zur
Basis, bedeckt einc Bodenfläche von 4800 Qnadratmetern und
hat eine Mittelschiffbreite von 24 Metern, währmd jedes
Seitenschiff 8 Meter breit ist. Ein von kuppelgekröntm Trep-
pmthürmchm flankirter Vorbau bildet die Stirnscite der Halle
und hat eine besonders rciche Ausstattung erfahren. Schön
gegliederte Gesimse, gemalte und mit uatürlichen Blmnmrankm
geschmückK Friese umziehen dm Ban, dessen Giebelfeld ein
silberner Schild mit dem Kopf dcr Pallas Nthene inniitten
von bmiten Blnmengewinden ziert, aus dmen wieder die
Medaillonköpfe des Gründers dcr Universität, Rnprcchts van der
Pfalz, und des Wiederherstellers derselben, Karl Friedrich von
Baden, hervorschauen. Große Wappenschilde, von Frnchtgnir-
landen umgeben und von Puiten gehalten, Jnschrifttafclnj!
Pilaster mit vergoldetm Kapitälen und blauen Rahnienfüllun-
gen, vergoldete Kattdelaber, Zierpflanzen, Festongeschlinge, die
Medaillonporträts des Großhcrzogs nnd der Frau Großherzogin
von Baden und reicher Flaggmschnmck vervollständigen die
Ausschmückung. Jn gleicher Weise schmücken Wappmlnlder,
Flaggen nnd Spruchbänder die Fassade nach dem Neckar,
welche anf einer Terrasse ruht, von der cine 18 Meter breite
Freitreppe zum Neckar hinabführt. Ein dem alten Univcrsitäts-
siegel nachgcbildetes Wappen, ein zweigeschwänzter aufstcigender
Löwe mit einem aufgeschlagenen Buch in dm Vordertatzen und
dem Wahlspruch ,8smpsr gportus" ist übcr dem mittlercn
Bogm angebracht nnd die zwei ersten Verse von Schesfel's
Lied: „Alt-Heidelberg du seine" zicren rechts uud links davon
dm anschließmdm Fries: eine paffmde Hnldignng sür den
zu früh gestorbmen Dichter. der die hettersten sei'ner Lieder
dem Ruhme dcr schönen Ncckarstadt gewciht hat und dem sie
selber bis ans Endc im Herzen geschrieben stand „gleich eincr
Braut".

Jm Jnnern, in das man vom emgefriedigtm Fest-
platz aus durch die Vorhalle an dcr Stirnseite des Banes
gelangt, theilen jc 19 mit Nundbogen übcrspannte Freistützen
dm Ramn in drci Schiffe, von denen sich das mittlcre 18
Meter hoch erhebt, das, wie die Seitenschisfe, bei Tag durch

hohes Seitmlicht und bei Nacht dnrch elektrisches Bogenlicht
crhellt wird. Die Bogciiöffnmigm sind mit rothem Stoff,
die Ständer niit badischen nnd dcutschen Wappenpanierm gc-
schmückt; dm rnckwärts befindlichm Giebel ziert ein Schild
mit dem deutschm Reichsadler und die anschließmdm Bogm-
zwickel zeigen die überlebensgroßen Figuren dcs Neckars und
des Rheins. Die Fmsteröffnungm sind mit hellem, dnrch-
scheincndem Stoffe geschlossen, die sarbig gemustert sind, und
das ganze Mittelschisf ist mit einer hcUblaum, zeltartig ge-
rnfften Stoffdecke überspamit, welche mit goldencn Sterncn be-
setzt ist. Vmtilationsvorrichtungm auf dem Dachfirst und der
Decke des Mittelschiffes sorgen sür beständige Erfrifchung dcr
Lnst, so daß die noch weitcr mit Guirlanden und Festons
geschmückte Halle den durstigen Jubclgästm dcr Ruperto-
Carola einen ebenso kühlen wie stinimungsvoll anheimelnbm
Aufmthalt zu bietm verspricht. Die Festwirihschaft ist an dm
Mainzcr NestauratmrF.Brnch verpachtet worden. Als Meistcr.
welche sich uni den Bau verdient gemacht haben, nennt der
Bericht deS Professors Durni in der Festchronik di« Zimmer-
nicistcr Georg Schmidt, I. Hirsch, F. Reiher und I. Wißmeier
in Heidelberg, ,die Tapezierer Fr. Jäger nnd Gmosfcn in
Heidelberg, ferner den Bildhauer Rnth in Düsseldorf und dm
Maler Brasch in Knrlsrnhc. Höchste Anerkcmiung aber ver-
dimt vor allem der Meifier Durm selbst, dcr den Plan cni-
worsm nnd dabci ebmsoviel frei-fröhlich schaffende Phantasie
ivie praktisch-abwägende Rechnenknnst bcwiesm hat; dmn der
solide, reich dekorirte Bau mit seinen vergoldeten Thurm-
knppcln kostet nur 65,000 Mark.

Diesc Festhnlle ist nicht die cinzige Leistung dekorativ-
architektonifchcr Knnst, welche die Jubilümnsseier hervorgerufen.
Vor allem hat das alte knnstlose Un ibersitätsg eb ände
selbst eincn durchgreiftnden Nusputz ersahren, wie es sich für
die ehrwürdige Behausung ciner so gefeiertm Jubilarin schickt.
Mehr aber noch als die Reparaturm und Dekorationen, welche
die äußere Erscheinung des GebäudeS jetzt heben, verdient die
prachivolle Nnßholz-Täftlnng und Einrichtnng, welche die bis-
her so nüchternkahle Aula darin in dicsen Tagm zu Ehrm
des Jubilümns erlebt hat, rühmendc Hervorhebung. Kami auch
daS große allegorische Bild des Karlsrnher Atadeinie-Proftssors
Kcllcr, welches über der Tribüne im Hintergrund >n die
krastvoll gegliederte Täfelung eingelassen ist, nicht uuscre be-
sondere Sympathie gewmnen, denn die Allegorie dieses „Ein>
zugs dcr Wissmschastm" in Hcidelberg steht in ihrer Gesuchtt
heit der lebmdigen, unmittelbar wirkendm Kunst eben so sen
wie im Colorit und in der Komposition, so hat «s doch Ein
 
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