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Vöge, Wilhelm; Hagnower, Niclas [Ill.]
Niclas Hagnower: der Meister des Isenheimer Hochaltars und seine Frühwerke — Freiburg im Breisgau, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.28045#0013
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1. DER MALER UND DER BILDHAUER DES ISENHEIMER HOCHALTARS. —
DAS „WERK“ DES BILDHAUERS UND SEINE SCHWACHE STELLE.

Ewald Banse, im Fluge das Abendland bereisend — in seinem „Buch der Län-
der“ —, versäumt die Andacht nicht vor Grünewald’s Altar. Wenn früher wohl
am funkelnden Gestirn die Flecken allzu sehr empfunden worden sind, hat seit der Aus-
stellung des Isenheimer Altarwerks in München (1918) ein dionysischer Grünewald-
rausch die Widerstrebenden mitgerissen. Die Psychologie dieser heiligen Trunkenheit
ist noch zu schreiben. „Grünewald“ ist nicht unser Erzieher. Doch er ist der Inbegriff
unseres Schöpfertrotzes. So drängten wir uns, besorgend, unterzusinken, um ihn und
sein Werk.

Erregende Funde wie der eines ganzen Bündels von Grünewaldzeichnungen
(durch Friedländer) haben die Andacht in Atem gehalten. Des großen Eigengewal-
tigen unsagbare Zartheiten sind nun erst sichtbar geworden, das Märchenhafte dieses
Künstlerwerks.

Es ist begreiflich, daß solch ein Emporgehen der Grünewaldleidenschaft des
anderen, des Partners Schale hat sinken machen. Der Partner, der Bildhauer des Isen-
heimer Altarwerks sank den Berauschten zu einer lokalen Größe herab; man schalt ihn
des Malers wegen, etwa wie Schiller um Goethe’s willen gescholten worden ist; suchte
den Anteil des Bildhauers an dem gemeinsamen Werk nun als ein Hemmnis für den
später Gekommenen, den Maler der Flügel hinzustellen.

Der Bildhauer aber, der die großartigen Gestalten des Schreins geschaffen hat, ist,
wie ich glaube, weiß, der Schöpfer auch des Architektonischen, des bis auf Reste zer-
störten Aufbaus des Altares gewesen. Mit den Maßen des Mittelteiles1, mit seiner
großzügigen Ordnung war der Rhythmus des Ganzen angeschlagen. Offenbar ist von
vornherein damit gerechnet worden, die Flügelgemälde in einem Zuge über die großen
Flächen auszubreiten, nicht aber stock werk weise2.

Zwar der Maler der Flügel ist in der Werkstatt des Bildhauers nicht gesessen.
Zwischen beiden ist vermutlich ein Drittes gestanden: eine große (Straßburger) Unter-
nehmerwerkstatt. Und zwischen der Arbeit des Bildhauers und der des Malers hat eine

1 Vom Stifter mit italienischer Großzügigkeit zugemessen (Friedländer): Br. 3,26 m, H. (an den
Seiten und ohne das Gesims) ca. 2,88.

2 Wie schon am Isenheimer Schongauer altar, Kolmar, Museum, dem mutmaßlichen frü-
heren Hochaltar der Antoniterkirche (H. A. Schmid, D. Gemälde und Zeichnungen d. M. Grünewald,
Straßburg 1911, Text, S. 94, 96 f.). Wären ursprünglich kleinere Gemälde in zwei Etagen (und also ein
einfacher Flügelaltar) geplant gewesen und erst von Grünewald die Idee der großen Flächen und die des
Wandelaltars hineingetragen, so würde der Schrein (wie der des Tiefenbronner Hochaltars und der des
Pacherschen in St. Wolfgang) wohl steilere Verhältnisse zeigen; vgl. auch Kap. 5.

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