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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0046
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wurden wie abenteuerliche Begebenheiten aufgefaßt und etwa auf die gleiche Stufe gestellt
wie die Novellen, die Rittergeschichten und die alten bretonischen Sagen. Höfischen
Prunk und Pomp breitete man über solche sagenhaften Szenen aus und bediente sich
der neuen Errungenschaften der Kunst, um dem möglichst greifbare Wirklichkeit zu
verleihen. Auch wo die Darstellung scheinbar nur wie ein Vorgang aus dem Leben
der Zeit in moderner Kostümierung auftritt, spielt oft eine poetische Romantisierung
mit hinein. Von einer Wiedergabe in antikem Sinn oder nach antiken Mustern ist
anfangs nicht die Rede. Mit dem Fortschreiten des Quattrocento steigerte sich dann
das Eindringen antiker Elemente. Hatte man zuerst bei Wiedergabe von antiken Sagen
und Geschichten hauptsächlich für das Abenteuerliche, Märchenhafte der Vorgänge
Sinn gehabt ohne besondere Berücksichtigung von spezifisch antikem Beiwerk, so
suchte man nach der Mitte des Jahrhunderts solche Szenen „antikischer“ auszugestalten.
Man bemühte sich ein ideales antikes Lokalkolorit zu schaffen — so wie man es
verstand. Antike Triumphbögen oder Tempel ahmte man, zum Teil allerdings in recht
phantastischer Weise, nach. Ruinen, die sich aus Trümmern von Triumphbögen, antiken
Kapitälen und Säulen zusammensetzten, waren als Szenerie beliebt. Die Ruinen-
sentimentalität, von der Jacob Burckhardt gesprochen hat, kommt auf. Im Figürlichen
lehnte man sich nur in seltenen Fällen an die Antike an, und dann, wie schon an-
gedeutet wurde, ohne eigentliches Durchdringen ihres künstlerischen Organismus.
Aber das Nackte wurde in die Herrschaft eingesetzt, die es im Altertum gehabt hatte.

Mit dem formalen Ideal der klassischen Kunst vermochte man im Quattrocento
auch den antiken Stoffen gegenüber ebensowenig wie sonst etwas anzufangen. Die
Künstler, und besonders die Maler hatten ja überhaupt noch keine klare Vorstellung
von der Antike. Sie erschien vielmehr als ein Ziel der Sehnsucht, verklärt in einer
schönen Ferne, von einem romantischen Schimmer umkleidet. Und was man nicht
klar sah, dem suchte man durch eine aus den verschiedensten Quellen schöpfende
Phantastik beizukommen. Dabei wirkte zum Teil eine gesteigerte subjektive Senti-
mentalität und elegische Stimmung mit, wie das bei Werken Botticellis oder dem
Berliner Panbilde Signorellis,1) hier und da auch bei Mantegna zum Ausdruck kommt.
Eine Romantisierung des Altertums tritt zutage.'2) In welcher Weise sich das auch in
der Literatur bemerkbar macht, kann hier nicht berührt werden. Man nimmt allgemein
eine Richtung wahr, die man als klassische Romantik bezeichnen darf.

In Deutschland bringt das 15. Jahrhundert einen rapiden Verfall der gesamten
höfisch-romantischen Kultur. Nicht wie in Italien blühten Bestandteile dieser Kultur
lebenskräftig weiter und amalgamierten sich einer neuen Zeit. Der Geschmack ver-
änderte sich durch das Aufkommen und Hervortreten anderer Kreise zu sehr, als daß
man noch an der höfischen Literatur der mittelalterlichen Sagen, der Ritter- und
Minnedichtungen in den alten Einkleidungen Gefallen fand. Der Adel, das Rittertum
entfremdete sich der feineren Kultur und saß raub- und rauflustig auf seinen Burgen.
Die neue Kultur hatte die Städte als Zentrum und wurde eine ausgesprochen bürger-
liche. Es soll nicht etwa behauptet werden, daß alle Elemente mittelalterlich-roman-

*) Vgl. darüber besonders Robert Vischers Signorelli. S. 131, 138, 241.

2) Anton Springer, Dürer S. 107, bemerkte einmal (gewiß etwas einseitig): „Die Romantik der
italienischen Renaissance geht auf die Antike zurück.“ — Die Romantik der Renaissance besteht aus
antikisierenden und mittelalterlichen und modernen Elementen. Hier müssen diese kurzen Andeutungen
genügen. An anderer Stelle gedenke ich die Frage ausführlicher zu behandeln.
 
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