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Weisbach, Werner
Der junge Dürer: drei Studien — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.29149#0047
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tischer Kultur plötzlich verschwunden wären. Ein Fortleben läßt sich in der Literatur
wie in der bildenden Kunst verfolgen, aber nur spärlich und bei weitem nicht in dem
Maße und Umfange wie in Italien, und mannigfachen durchgreifenden Modifikationen
ausgesetzt. In Niederdeutschland und in den Gegenden am Rhein bis zu seinem
Oberlauf erhalten sie sich intensiver als etwa in Franken.

Maßgebend für den Geschmack in Deutschland im 15. Jahrhundert ist das
bürgerlich-städtische Element. Es war dem Poetisch-Phantastischen abgeneigt und be-
kannte sich zu einem ziemlich platten Rationalismus, ln der populären Literatur fanden
die groben, unflätigen Schwänke und Fastnachtspiele, Sprüche, Sinngedichte die
weiteste Verbreitung. Eine Handwerkerpoesie bildete sich heraus. Und wo etwa alte
höfisch-ritterliche Stoffe neu bearbeitet wurden, wie das in der Erzählungsliteratur
zumeist der Fall war, da wurden sie verroht und verkümmert, in eine niedrige bürger-
liche, ja spießbürgerliche Sphäre hinabgezogen.

Als neues Element kam in die deutsche Kultur des 15. Jahrhunderts der
Humanismus von Italien herüber. Er wurde eingesogen und importiert von Deutschen,
die in Italien ihre Studien absolvierten.

ln Dürers Heimatstadt Nürnberg drang er erst verhältnismäßig spät ein; weit
später als etwa in Augsburg, wo schon in den fünfziger Jahren ein humanistischer
Kreis bestand, die Stadtverwaltung dem Humanismus zugänglich war, und ihr Bürger-
meister Sigismund Gossenbrot an der Spitze dieser Bestrebungen stand, und wo sich
auch der bischöfliche Hof dem Humanismus zuneigte. In Nürnberg, das, im Gegensatz
zu Augsburg mit seiner demokratisch-zünftischen Verfassung, eine patrizische Ver-
waltung der alten Geschlechter hatte, von der die Zünfte nahezu ausgeschlossen
waren, bestand ein heftiger Widerwille gegen die modernen humanistischen Be-
strebungen. Das ging so weit, daß ein Gesetz bestand, welches jeden, der den
Doktorhut erlangt hatte, vom Rat ausschloß. Der sächsische Humanist Schneevogel
(Niavis) konnte von Nürnberg als der Stadt der Krämer, die die Studien verachten,
sprechen.1 2 3) Wie wenig festen Fuß in den siebziger und achtziger Jahren der Huma-
nismus faßte, geht auch daraus hervor, daß innerhalb dieser Zeit aus den Nürnberger
Druckeroffizinen im ganzen nur zwei moderne humanistische Werke hervorgingen.-)

Erst am Ende der achtziger Jahre bildete sich allen Widerständen zum Trotz
' ein eigentlicher humanistischer Kreis heraus, zu dem Männer wie Hans und Sixtus
Tücher, Sebald Schreyer, Hartmann Schedel gehörten. Der Klerus war im allgemeinen
in Nürnberg dem Humanismus abgeneigt. Aber der Lesemeister bei den Minoriten
und Prediger am Frauenkloster der hl. Klara, Stephan Fridolin aus dem Städtchen
Winnenden in Schwaben, hatte humanistische Anwandlungen. Er schenkte im
Jahre 1486 dem Nürnberger Rat — wohl durch Vermittlung Hans Tuchers — eine
Sammlung antiker Münzen, die er von einem Mainzer Geistlichen bekommen hatte,
und die dann in der Stadtbibliothek in einem Kasten aufgehängt wurde. Tücher ließ
diese Münzen durch den alten Dürer vergolden und versilbern, und damals mag der
junge Albrecht den ersten Eindruck vom klassischen Altertum empfangen haben.

Die eigentliche Weihe für den Humanismus erhielt die Stadt Nürnberg durch
ihre Beziehungen zu Conrad Celtes, der lange und gern in ihren Mauern weilte und

L) Max Herrmann, Die Rezeption des Humanismus in Nürnberg, S. 58.

2) Herrmann a. a. O. S. 47. Auch für das Folgende.

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