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Die Werkkunst — 2.1906/​1907

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II. Jahrgang, Teil 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.69043#0283
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Zu jenen Dekorationsmitteln, die zu allen Zeiten für unsere Hausmöbel
in Betracht gekommen sind, gehört neben der Intarsia in erster Linie die
Schnitzerei, die Flachschnitzerei, die derBelebung der Fläche dient. Dadurch,
daß sie im Material des Möbels hergestellt werden kann, gewinnt sie sehr an
wahrem und dauerndem Wert und ist deshalb von keinem anderen Dekor auf
längere Zeit zu verdrängen.
Durch die Hochflut glattflächiger Möbel, die uns in den letzten Jahren
beschert wurden, kam die Schnitzerei allerdings etwas außer Kurs, weil man
hauptsächlich die Intarsia als Dekor bevorzugte und eine aus guten Hölzern
schön behandelte Fläche gern sah. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß man
sich an einfacher Kost am wenigsten den Magen verdirbt, doch liebt der Mensch
auch die Veränderung. Wir sind bereits auf dem Wege, nach Mitteln zu suchen
um unsere Möbel wieder reichlicher mit Dekor zu versehen. Daß hierbei die
Schnitzerei wieder mehr berücksichtigt werden wird, ist ohne Zweifel, ich
kann mir auch denken, daß die Reliefintarsia wieder mehr zu Ehren kommt,
allerdings nur an wertvollen Erzeugnissen.
An einen Dekor, der unsere Hausmöbel zieren und den Ansprüchen
unserer Zeit genügen soll, müssen wir Bedingungen stellen. Mit Ausnahme
von Prunkmöbeln, wo die Schnitzerei vorherrschend auftreten kann, soll
sich dieselbe immer dem Ganzen anordnen oder unterordnen, sei es als
Flächenverzierung oder als freie Endung. Ist sie noch so einfach in ihren
Formen, so sei sie doch immer vornehm und wertvoll in bestem Sinne aus"
geführt. Bei Möbeln, die dem täglichen Gebrauch dienen, soll sie möglichst
flach sein, eventuell leicht bewegt, doch nie sehr plastisch oder stark unter"
schnitten, weil sie sonst einen großen Staubfänger und damit ein ständiges
Ärgernis des Hauses bildet. Sitzmöbel lasse man tunlichst ohne Schnitzerei
und gestalte sie lediglich nach dem Gebrauchszweck. Eine wuchtige und stark
bewegte Schnitzerei kann dagegen ihren Platz wieder in größeren Räumen,
z. B. in Hallen, Prunksälen und öffentlichen Gebäuden, an den Konsolen,
Decken, Paneelen etc. finden.
In unserem Wohnraume würde vielleicht der kraftvoll geschnitzte Rahmen
eines wertvollen Bildes eine Ausnahme bilden können. Auch dann ist
Schnitzerei amPlatze, wo es sich um das Auftreten eines selbständigen Kunst"
Werkes handelt,etwa einer freienSkulptur,z.B.einesTieresodereinermensch"
liehen Figur. Doch sollte man derartige Sachen nur unter den günstigstenBe"
dingungen herstellen. Marmor und Metall eignen sich besser hierfür. Ein mit
den Jahren schadhaft gewordenes Holzornament, das einer Ausbesserung bei-
darf, ist immer noch erträglicher als ein mit Holzkeilen und Kitt ausgeleimter
Apostel. Holz hat nun einmal die Neigung, zu quellen, zu trocknen oder gar
zu reißen.
Wir müssen sehr darauf bedacht sein, die Flächenwirkungen der Möbel,
die ein Verdienst unserer Zeit sind, bei einem Geschmackswechsel nicht zu

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