5
10
15
20
25
30
35
Briefe zu den Herkulanischen Entdeckungen
Brief 1 [Br. I Nr. 207 S. 339-347]
[Johann Joachim Winckelmann] Nachricht von den alten herkulanischen Schriften.
In: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Wonnemond 1758
Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf Num. V. 1758
[325] I Nachricht von den alten herkulanischen Schriften.*
Es sind über 800. Stücke an zweyen Orten gefunden, und zwar in ihren Schränken, welche so,
wie die Schriften durch die Glut des feurigen Stromes, welcher die Stadt Herkulanum bedecket,
in Kohlen verwandelt worden sind.
Der größte Theil derselben ist aus einen verschütteten prächtigen Pallaste gezogen, welcher
unter dem Garten der Augustiner Barfüßer zu Portici stehet. Der Fußboden von kleinen ein-
gelegten Steinen, welches eine Art musivischer Arbeit ist, und sich durch den ganzen Pallast
erstrecket, steht 125- neapelsche Spannen unter der Erde, und dieses, wie die prächtige Weite
derThüren zu den [326] Zimmern, welche die marmornen Schwellen derselben, die von der
ganzen Einfassung derThüren an ihrem Orte gelassen sind, anzeigen, geben einen Begriff von
dem ehemahligen ganzen Gebäude. Hinter diesem Pallaste, hat man einen großen Platz mit
einer erhöheten Einfaßung von Marmor, dessen Boden ebenfalls mit Platten von Marmor be-
leget gewesen, gefunden: und man hält diesen Platz für einen Wasser-Behälter.
An demselben umher stunden zwischen Säulen von Ziegeln mit Gyps überzogen, die schönen
Brustbilder von Marmor, welche die Zimmer der Königinn zieren, und namentlich Archimedes;
nebst den Brustbildern von Erzt, in dem Museo und 8. Statuen von Erzt.
Ich hätte hier Gelegenheit viel zu sagen, aber ich würde außer den Gränzen meines Vorhabens
gehen. Den Ort wo so viel seltene Schätze gefunden sind, konnte ich gleichwohl nicht über-
gehen, ohne einigen Begriff von demselben zu geben.
Die Schriften haben die Gestalt und Forme von Schmiedekohlen, mit diesem Unterschiede,
daß die wenigsten völlig rund sind. Sie sind mehrentheils weniger oder mehr platt gedruckt,
und viele haben Reifen wie Bockshörner bekommen.
Sie sind insgemein eine Spanne lang, und von verschiedener Dicke: es giebt aber auch viele,
welche nur eine halbe Spanne in der Länge haben. An beyden Enden derselben, wo sie eine
Aehnlichkeit mit versteinertem Holze haben, sieht man die Kreise [327] von ihrer Umwickelung.
Es ist zu beklagen, daß wir mit dem Phädrus sagen müssen:
Diese Nachricht ist von dem gelehrten Hrn. Winkelmann, welcher sich seit einiger Zeit meistens in Rom
aufhält, aufgesetzet, und in einer Copie von seiner eigenen Handschrift dem Hrn. Prof. Böhmen von einem gelehrten
Freunde aus Warschau mitgetheilet worden.
10
15
20
25
30
35
Briefe zu den Herkulanischen Entdeckungen
Brief 1 [Br. I Nr. 207 S. 339-347]
[Johann Joachim Winckelmann] Nachricht von den alten herkulanischen Schriften.
In: Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit. Wonnemond 1758
Leipzig, Bey Bernhard Christoph Breitkopf Num. V. 1758
[325] I Nachricht von den alten herkulanischen Schriften.*
Es sind über 800. Stücke an zweyen Orten gefunden, und zwar in ihren Schränken, welche so,
wie die Schriften durch die Glut des feurigen Stromes, welcher die Stadt Herkulanum bedecket,
in Kohlen verwandelt worden sind.
Der größte Theil derselben ist aus einen verschütteten prächtigen Pallaste gezogen, welcher
unter dem Garten der Augustiner Barfüßer zu Portici stehet. Der Fußboden von kleinen ein-
gelegten Steinen, welches eine Art musivischer Arbeit ist, und sich durch den ganzen Pallast
erstrecket, steht 125- neapelsche Spannen unter der Erde, und dieses, wie die prächtige Weite
derThüren zu den [326] Zimmern, welche die marmornen Schwellen derselben, die von der
ganzen Einfassung derThüren an ihrem Orte gelassen sind, anzeigen, geben einen Begriff von
dem ehemahligen ganzen Gebäude. Hinter diesem Pallaste, hat man einen großen Platz mit
einer erhöheten Einfaßung von Marmor, dessen Boden ebenfalls mit Platten von Marmor be-
leget gewesen, gefunden: und man hält diesen Platz für einen Wasser-Behälter.
An demselben umher stunden zwischen Säulen von Ziegeln mit Gyps überzogen, die schönen
Brustbilder von Marmor, welche die Zimmer der Königinn zieren, und namentlich Archimedes;
nebst den Brustbildern von Erzt, in dem Museo und 8. Statuen von Erzt.
Ich hätte hier Gelegenheit viel zu sagen, aber ich würde außer den Gränzen meines Vorhabens
gehen. Den Ort wo so viel seltene Schätze gefunden sind, konnte ich gleichwohl nicht über-
gehen, ohne einigen Begriff von demselben zu geben.
Die Schriften haben die Gestalt und Forme von Schmiedekohlen, mit diesem Unterschiede,
daß die wenigsten völlig rund sind. Sie sind mehrentheils weniger oder mehr platt gedruckt,
und viele haben Reifen wie Bockshörner bekommen.
Sie sind insgemein eine Spanne lang, und von verschiedener Dicke: es giebt aber auch viele,
welche nur eine halbe Spanne in der Länge haben. An beyden Enden derselben, wo sie eine
Aehnlichkeit mit versteinertem Holze haben, sieht man die Kreise [327] von ihrer Umwickelung.
Es ist zu beklagen, daß wir mit dem Phädrus sagen müssen:
Diese Nachricht ist von dem gelehrten Hrn. Winkelmann, welcher sich seit einiger Zeit meistens in Rom
aufhält, aufgesetzet, und in einer Copie von seiner eigenen Handschrift dem Hrn. Prof. Böhmen von einem gelehrten
Freunde aus Warschau mitgetheilet worden.