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Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Balensiefen, Lilian [Mitarb.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

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Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
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https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0078
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Kommentare zu S. 1-132

immer, obwohl sie mit großer Meisterschaft gearbeitet sind, jenen ersten Versuchen in der BiIdhauerey, welche man bey den Hetruriern
und den Griechen findet, und sie haben, wie diese, nichts, das nur irgend einen Begrifft vom Schönen geben könnte. Die Ursachen der
geringen Fortschritte in der Kunst sind: die Aehnlichkeit der Gesichts-Bildung.
$. 2. Von den geringen Fortschritten, welche die Kunst bey den Aegyptiern gemacht hat, lassen sich, nach meiner Meinung, drey
Ursachen angeben, nämlich die fast gleiche Gesichts-Bildung bey jedem Einzelnen aus diesem Volke; ihre mit der Religion [16] genau
zusammenhängende Verfassung, und der Zustand, worin sich die Künstler befanden.
In Hinsicht der ersten Ursache, welche die bey jedem Aegyptier fast gleiche Gesichts-Bildung betrifft, darf man nicht zweifeln, daß
ihre Künstler dasjenige, welches sie in der Natur sahen, nachzubilden gesucht, wenigstens zu der Zeit, da die Kunst bey ihnen sich
der früheren Fesseln entwunden hatte; auch bezeugt dieses ein heiliger Kirchen-Vater. Aber wie konnte sich auch nur eine Spur von
Schönheit der Züge an ihren Figuren zeigen, wenn alle oder fast alle Gegenstände, nach welchen sie gebildet wurden, die Gestaltung
der Africaner hatten, das heißt, wie diese, den aufgeschwollenen Mund, das zurücktretende und kleinliche Kinn, das gesenkte und platt
gedrückte Profil, und, um nicht nur den Africanern sondern auch den Aethiopiern zu gleichen, wie diese, die biswelchen gepietschte
Nase und die dunkelbraune Farbe der Hauti Daher gebrauchte man in Griechenland das Wort'Atyvmioioai von solchen, die von
der Sonne verbrannt waren, und eben deswegen haben auch alle auf den Mumien gemahlte Figuren ein dunkelbraunes Gesicht.
$. 3. Uebrigens rede ich nur von der Gesichts-Bildung der Aegyptier, ohne ihres hohen Wuchses, wenn dies eine Schönheit ist, im
Geringsten zu gedenken. Denn [17] Pausanias verglich einige ihrer Leichname, die er gesehen, mit der Größe der Gelten, und diese
Nachricht wird bestätigt durch die im Clementinischen Institut zu Bologna befindliche Mumie, welche elf Römische Palmen hält.
Viel weniger begreife ich unter die hier gemachte Beschreibung von der Bildung der Aegyptier jene Griechen mit ihren Kindern, die
sich späterhin in Aegypten niederließen. Diese hatte gewiß auch Martialis im Sinne, als er seinen schönen Knaben aus jenen Gegenden
verlangte, obgleich der genannte Dichter nicht sowohl durch die Schönheit zu diesem Wunsche veranlaßt wurde, als vielmehr durch
die üppigen Sitten der dortigen Jugnd, wie aller Griechen in Aegypten, und sonderlich der zu Alexandrien, die mehr als irgend ein
anderes Volk den Schauspielen und der Musik ergeben waren.
Die Beschränkung der Kunst durch die Religion und Staats-Verfassung. Durch die Staats-Verfassung in Hinsicht der Gesetze.
$. 4. Die zweyte Ursache von den geringen Fortschritten in der Kunst der Zeichnung bey den Aegyptiern liegt in ihrer mit der Religion
genau zusammenhängenden Verfassung. Zum Beweise dient uns das von Plato angeführte Gesetz durch welches den Künstlern verboten
war, bey Verfertigung ihrer Werke von dem bisher im Lande üblichen Style abzugehen; daher berichtet eben dieser Schriftsteller, daß
die Statuen, die zu seiner Zeit, das ist, als Aegypten unter der Herrschrift der Perser war, gemacht und [18] von ihm während seines
dortigen Aufenthalts gesehen worden, ganz und gar nicht von denen, welche tausend und mehr Jahre älter waren, verschieden gewe-
sen. Daher waren alle Götter-Bilder ganz einander ähnlich, mit Ausnahme der beygelegten Zeichen, welche bey der einen Gottheit
verschieden waen von denen einer andern, und durch welche auch in Hinsicht aufdie Bewegung und Anordnung der Glieder eine
geringe Verschiedenheit entstehen konnte.
Durch die Religion, welche die Kunst auf die Bilder der Götter, Priester und Könige beschränkte.
$. 5. Man sage nicht, daß die Verfassung und die Religion dieses Gesetz wohl den Verfertigern der Götter-Bilder, nicht aber auch allen
übrigen Künstlern vorschreiben konnte. Denn die Kunst, Figuren in menschlicher Gestalt zu bilden, scheint bey den Aegyptiern auf
die Götter, auf die Könige und deren Familie, und auf die Priester eingeschränkt gewesen zu seyn (die Figuren ausgenommen, die zur
Zierde an ihren Gebäuden geschnitzt waren), das ist, auf eine einzige Art Bilder. Denn die Götter der Aegyptier waren Könige, die
ehemals dieses Volk beherrscht hatten, oder wurden wenigstens dafür gehalten, so wie die ältesten Könige Priester waren; wenigstens
gibt es keine Ueberlieferung, noch meldet irgend ein Schriftsteller, daß anderen Personen daselbst Statuen errichtet worden. Zweytens
war die Religion bey den Aegyptiern mit ihrer Verfas- [19] sung genau verbunden; daher war dasjenige, was jene vorgeschrieben,
auch durch diese geboten. Drittens war es ein Hauptgrundsatz ihrer Gesetzgeber, keine Neuerung vorzunehmen und in ihr Land
keinen fremden Gebrauch einzuführen.
Die Künstler waren nicht von den Handwerkern unterschieden.
$. 6. Die dritte Ursache endlich, daß die Kunst der Zeichnung bey den Aegyptiern nicht weiter vorrückte, liegt in einem andern
Gesetze, welchem zu Folge alle Handwerker, und mit ihnen auch die Meister der schönen Künste ohne den geringsten Unterschied
zur dritten und niedrigsten Volks-Klasse gerechnet wurden. In allen ihren Gewerken und Ständen war der Sohn verbunden, der
Lebensart seines Vaters zu folgen, und deshalb konnte er seinen Zustand niemals verbessern. Es fehlten folglich die zwey Triebfedern,
 
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