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Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Balensiefen, Lilian [Mitarb.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

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Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
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https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0081
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Trattato premiliare [vorläufige Abhandlung] · Kommentar

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nenne hier nur, ohne andere Beyspiele anzuführen, den Sphinx an der Spitze des Sonnen-Obelisks, welcher in dem Campo Marzio
auf der Erde liegt. Diese Figur ist in Gyps nachgeformt, und man kann sie daher auch außerhalb Roms untersuchen. Der Kopf dieses
Sphinxes, welcher gewiß zur Zeit, da der Obelisk noch aufgerichtet stand, kaum gesehen werden konnte, hat nichts desto weniger eine
Ausführung, wie die Griechische Kunst nur ihren vollendetsten Werken zu geben strebte. Nicht allein sind die Ränder der Lippen und
der Augenlieder mit zwey parallel laufenden auf das zarteste in den Stein eingegrabenen Linien [28] angedeutet, sondern der Rand
selbst erscheint wieder zwischen den Einschnitten erhoben und ist mit spitzem Eisen sorgfältig gleichgearbeitet. Die Falten der Haube,
welche diesen Kopfbedeckt, sind gelinde mit großen Fleiße angegeben; ferner kann von dem Ohr gesagt werden, es sey an Werken dieser
Größe das schönste aus dem ganzen Alterthume.
Die Hände und Füße.
$. 17. Ein Unterscheidungs-Zeichen derAegyptischen Figuren ist, daß man keine Knochen-Fügung an den Fingern der Hände und
den Zehen der Füße sieht, welche weder Gelenke noch Glieder zeigen. Die Füße unterscheiden sich durch die kleine Zehe, welche gerade
und ausgestreckt ist; Hieran war nicht sowohl die Ungeschicklichkeit der Künstler Schuld, als vielmehr die Gewohnheit der Aegyptier,
welche in ihrem sehr heißen Klima barfuß gingen. Daß an den Griechischen Statuen die kleine Zehe gekrümmt und einwärts gedrückt
ist, muß man den Schuhen zuschreiben, deren man sich in diesem nicht so heißen Klima bediente, und dem ledernen Riemen an eben
diesen Schuhen, welcher Ζυγός hieß, queer über den Fuß ging und die kleine Zehe mehr als die übrigen drückte.
Die Brust.
§. 18. Endlich hatte die Brust der männlichen Figuren bey den Aegyptiern nicht jene großartige Erhabenheit, welche man an den
Griechischen Statuen erblickt; an den weiblichen Figuren wurde der Busen, wie ich schon [29] gesagt habe, durch zwey übermäßig
starke Brüste dargestellt. Diese Statuen unterscheiden sich von den Griechischen auch durch die zu schmalen Lenden und Weichen.
Zweyte Epoche oder der unter der Griechischen Herrschaft in Aegypten eingeführte Styl.
$. 19. Nach der Untersuchung der einzelnen Theile an den Aegyptischen Figuren des ersten Styls, kehre ich noch ein wenig zu dem
Allgemeinen zurück, um mit ihnen und mit den Eigenschafien, welche man an ihnen bemerkt, andere Figuren zu vergleichen, welche
zwar Aegyptische, aber in Rücksicht auf die Zeichnung des Nackten und der Bekleidung von jenen verschieden sind. Da ich nun in
Absicht auf das mehrere Male erwähnte Verbot, welches den Aegyptischen Künstlern auferlegte, bey den menschlichen Figuren keine
Neuerung vorzunehmen, bey dem bisher gemachten Schlüsse beharre: so mögte ich glauben, daß alle die vorkommenden Figuren,
welche nicht mit dem angenommenen Style übereinstimmen, nicht als Uebertretungen jenes Gesetzes anzusehen, sondern später
verfertigt sind, da das Gesetz seine Krafi verloren hatte. Nun kann dieses nicht eher geschehen seyn als nach der Eroberung Aegyptens
durch den Persischen König Cambyses, den Sohn des Cyrus, welcher nicht nur die alte Regierungs-Verfassung abschaffe, sondern auch
die Religion auszurotten suchte. Da aber Plato, welcher eines solchen Gesetzes erwähnt, lange nachher unter den Nachfolgern dieses
Koni- [30] ges in diesen Gegenden war: so scheint es wahrscheinlich, daß die Aegyptischen Künstler, welche noch nicht durch die
Griechischen Bildhauereyen aufgeklärt waren, immer noch in den Fußstapfen ihrer Vorfahren fortgingen, bis Alexander der Große
das Persische Reich zerstörte und sich zum Herrn von Aegypten machte. Von dieser Zeit an veränderte sich der Zustand der Dinge
in diesem Reiche, und die Ptolomäer, die Nachfolger Alexanders, brachten mit den Wissenschafien der Griechen auch ihre Künste
nach Aegypten, wie ich durch geschichtliche Beweise in dem vierten Kapitel dieser Abhandlung darthun werde. Da man unter diesen
Griechischen Königen, wie es bey ähnlichen Umwälzungen geschieht, in Aegypten Griechische Werke zu sehen bekam, so glaube ich
deshalb, daß die bis jetzt von den Aegyptischen Künstlern in ihren Arbeiten beobachtete Manier zwar nicht gänzlich abgeschaff, aber
verbessert worden. Und dies sind die Bildhauer-Arbeiten, welche ich zu dem zweyten Zeiträume rechne.
Eigenschaften dieses Styls gezeigt an drey Statuen. Im Nackten und in der Bekleidung.
$. 20. Unter diesen Bildhauer-Arbeiten betrachte ich besonders drey weibliche Statuen aus sehr hartem Basalt. Zwey derselben sieht man
in dem Capitolinischen Museum, und die dritte ist in der Villa Seiner Eminenz des Herrn Alexander Albani, und gleicht der Größten von
jenen beyden im gedachten Museum, sowohl in Hinsicht der senkrecht hängen- [31] den an der Seite völlig anliegenden Arme, als auch
der Bekleidung. Aber diese ist an der einen wie an deren andern Figur von den Statuen der ersten Zeit ganz und gar verschieden; außer
dem unterscheidet man auch in beiden Statuen das Unterkleid von dem Rock und dem Mantel. Das Unterkleid oder Hemd, wie ich es
nennen mögte, scheint von sehr feiner Leinewand mit kurzen Aermeln zu sein, reicht an diesen beiden Statuen nur bis an das Mittel des
O berth ei Is des Armes, bekleidet die Brust und geht bis auf die Füße. Der Rock ist dem Unterrocke unserer Frauen ähnlich, doch reicht er
höher hinauf, indem er bis an die Brüste geht, wo er mit zwei Zipfeln des Mantels gebunden ist, die, über beyde Achseln gezogen, vorn
auf der Brust einen Knoten bilden, von dem die beiden Enden herabhängen. An einer dieser beiden Statuen, welche in der Villa Albani
 
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