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Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Balensiefen, Lilian [Mitarb.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

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Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
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https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0108
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Kommentare zu S. 1-132

nachgesprochen und das Wort Ήθος mit dem gemeinsten Worte Nores übersetzt hat, ohne seine Gedanken, wenn er etwas dabey
klar und bestimmt gedacht, deutlich zu erklären. Der Graf Caylus, welcher diese Stelle des Plinius anführt, ohne sich bey der
Erklärung derselben aufzuhalten, würde vielleicht meiner Meynunggewesen sein, wenn er des Plinius Anzeige mit dem Urtheile
des Aristoteles zusammen gehalten hätte.
Von der Handlung. Die in ihr beobachtete Sittsamkeit.
$. 38. Der Ausdruck der Griechischen Figuren insbesondere entspricht den Grundsätzen des Anständigen, wie es bey jenem Volke
festgestellt war, welches eine große Sittsamkeit in Gebärden und in allem seinen Handeln beobachtete, so daß ein geschwinder Gang
wider die Begriffe des Wohlstandes gehalten wurde. Die Griechen glaubten in einem solchen Gange eine Art Frechheit und Uebermuth
zu sehen; daher wirft Demosthenes einen solchen Gang dem Nicobulus vor, und er verbindet frech sprechen und geschwindt gehen
mit einander. Dieser Denkungsart zu Folge hielten die Alten eine langsame Bewegung des Körpers für eine Eigenschaft großmüthiger
Seelen. Man weiß, wie ehrwürdig die Haltung derAtheniensi- [102] sehen Frauen gewesen; Philostratus hat dieselbe durch das Wort
Ύπόσεμνος ausgedrückt, welches bey ihm das Unterscheidungszeichen und Beywort einer Athenienserin ist.
In Figuren von Tänzerinnen.
Diese Sittsamkeit haben die alten Künstler bis in ihren tanzenden Figuren, die Bacchantinnen ausgenommen, beobachtet, und
Athenäus versichert, daß die Handlung in den Figuren nach dem Maaße und der Bewegung der älteren Tänze abgewogen worden, und
daß in den folgenden Zeiten wiederum ihre Figuren den Tänzerinnen zum Muster gedient, um sich in den Gränzen eines züchtigen
Wohlstandes zu erhalten. Diese Züchtigkeit in den Tänzen der Griechen sieht man ausgedrückt an vielen weiblichen leicht bekleideten
Statuen, von welchen die mehrsten weder unter der Brust noch um die Hüften einen Gürtel haben und man sieht, wenn ihnen auch
die Arme fehlen, nichts destoweniger, daß sie mit der einen Hand von oben über die Achsel, und mit der andern von unten bis über
die Beine ihr Gewand sanft und mit Anmuth in die Höhe gezogen. Statuen in dieser Stellungfinden sich in der Villa Medici und in
der Sr. Eminenz, des Herrn Alexander Albani; und da einige derselben einen idealischen Kopf zu haben scheinen, so kann in ihnen
vielleicht eine von den beyden Musen, denen der Tanz vor andern eigen war, nämlich Erato und Terpsichore abgebildet seyn. In der
Villa Ludovisi ist eine [103] andere sehr schöne tanzende Statue zu sehen, deren Kopf zwar sehr reizend, aber nicht idealisch schön
zu nennen ist; es kann also scheinen, daß diese Statue wirklich das Bildniß irgend einer berühmten Tänzerin sey, da wir wissen, daß
diese Personen mit den Helden und Athleten an der Ehre der Statuen Theil haben.
Von dem Wohlstände in den Statuen der Helden.
$. 39. Eine Statue eines Helden mit über einander geschlagenen Beinen würde bey den Griechen getadelt worden seyn; denn es wurde
dergleichen Stand auch an einem Redner für unanständig gehalten, so wie es Pythagoras misbilligte, den linken Schenkel über den rechten
zu legen. Zwar sieht man in dieser Stellung einige Statuen des Bacchus und des Apollo mit einem Schwan zu den Füßen; aber der eine
und der andere sind im jugendlichen Alter abgebildet, für welches jene Stellung nicht unanständig ist; vielmehr deutet sie beym Bacchus
auf seine Weichlichkeit, so wie in der Statue des Paris, welche also in dem Pallaste Lancellotti steht. In dieser Stellung ist auch Meleager
abgebildet worden, um die Ruhe anzudeuten, welche er nach der ihm durch die Jagd verursachten Ermüdung genießt.
Der Gottheiten weiblichen Geschlechts.
Unter den weiblichen Gottheiten ist mir, mit Ausnahme einer Nymphe in der Villa Sr. Eminenz des Herrn Alexander Albani, und
einer andern Figur im Capitolinischen Mu- [104] seum, die beym Ergänzen in eine Muse verwandelt worden, keine einzige also gestellt
bekannt, und es würde eine solche Stellung, da sie bey den Rednern für unanständig gehalten wurde, vielleicht noch weniger bey den
Matronen für schicklich geachtet worden seyn. Daher überlasse ich es dem Ermessen des Lesers zu beurtheilen, ob eine Münze des Kaysers
Aurelius, auf welcher die Vorsicht mit übereinandergeschlagenen Beinen steht, alt seyn könne. Verschieden von dieser Stellung ist diejenige
an den vorgeblichen Statuen der Agrippina, die in der Farnesina, im Capitolinischen Museum und in der Villa Sr. Eminenz des Herrn
Alexander Albani aufbewahrt werden; diese Statuen sind sitzend vorgestellt, und lassen den einen Fuß sanft aufdem andern ruhen.
In den Statuen der Kayser.
$. 40. In eben der würdigen Haltung, in welcher die Helden abgebildet worden, erscheinen allezeit die Kayser in ihren Statuen und
auf den öffentlichen Denkmalen als die ersten unter ihren Bürgern, ohne monarchischen Stolz, wie mit gleich ausgetheilten Vorrechten
begabt: [Ισόνομοι). Denn die umstehenden Figuren im Gefolge der Kayser scheinen alle ihrem Herrn gleich zu seyn, welchen man
nur durch die vornehmste Handlung, die ihm gegeben ist, von anderen unterscheidet. Niemand, der dem Kayser etwas überreicht,
verrichtet es fußfällig, die Kriegsgefangenen ausgenommen, und niemand redet die Kayser [105] an mit gebeugtem Leibe oder Haupte.
 
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