Trattato premiliare [vorläufige Abhandlung] · Kommentar
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$. 129. Man könnte hier einen zerstümmelten tief geschnittenen Stein im Museum des Herrn Ritteres Vettori zu Rom entgegensetzen,
wo man an den mit Rüstung bewaffneten Beinen einer verstümmelten Figur die Umschrifi sieht: INTOC ΑΛΕΞΑ....ΕΠΟΙΕΙ das ist:
“Quintus, Sohn des Alexander hat es gemacht. ”Aber dieses Bey spiel, welches einzig ist, kann, selbst wenn noch so viele Bey spiele dieser
Art auf geschnittenen Steinen gefunden würden, meine Behauptung nicht schwächen, da sich diese nicht auf die Arbeiten späterer
Zeiten, wo die Künstler, je schlechter sie waren, desto mehr sich durch eine solche Veränderung ihres Namens ein Ansehen zu geben
suchten, sondern vielmehr auf die geschnittenen Steine der Künstler gründet, welche schon in alten Zeiten berühmt waren, und es
auch in unsern Tagen sind.
$. 130. Der Kopf stellt übrigens nicht den berühmten Athenienser Phocion dar, dessen Namen er trägt; dieser [187] Name muß viel-
mehr den Steinschneider anzeigen. Denn so wie die Namen der Gottheiten insgemein nicht unter ihre Bildnisse gesetzt wurden, weil
sie allein bekannt waren, eben so war es wenigstens bey den geschnittenen Steinen nicht gewöhnlich, die Köpfe berühmter Personen
mit ihren Namen zu bezeichnen.
$. 131. Ferner weiß man, daß ähnliche Betrügereyen schon in den alten Zeiten begangen wurden. Einige ließen, um den Werth irgend
einer Statue zu erhöhen, den Namen des Praxiteles einhauen, so wie es erhobene Werke in Silber gab mit dem falschen Namen des
berühmten Myron. Betrügereyen dieser Art waren auch in der Litteratur üblich; und es erschienen, da die Ptolemäer und die Könige
von Pergamus in Vergrößerung ihrer Bibliotheken wetteiferten, untergeschobene Schrifien aller Art unter dem falschen Namen
berühmter Schriftsteller.
$. 132. Und hier können wir uns nicht ohne Grund über das Stillschweigen des Plinius beklagen, welcher das Zeitalter so vieler
Künstler bestimmt, deren Namen für uns nach dem Verluste ihrer Werke weniger wichtig sind, aber nicht angemerkt hat, wann
Agesander, Polydorus und Athenodoris lebten. Sie waren aus der Insel Rhodus gebürtig und die Meister der Statue des Laocoon,
eines Werks, das, nach dem Urtheile des Plinius, allen Werken [188] der Bildhauerey und der Mahlerey vorgezogen werden muß.
Da Maffei fand, daß Plinius einen Bildhauer, mit Namen Athenodorus aujführt, als einen Schüler des berühmten Polycletus,
welcher in der sieben und achtzigsten Olympiade blühte: so hielt er ihn für einen der Künstler des Laocoon, und setzte ihn und
seine Gehülfen ohne irgend einen Grund in die folgende Olympiade; Richardson ist ihm hierin mit dem größten Vertrauen gefolgt.
Aber es läßt sich nichts anders mit Gewißheit und Sicherheit behaupten, als daßAthenodorus ein Sohn des Agesander war, wie
die nachfolgende Inschrift an einem Fußgestelle von grauem Marmor lehrt, das von einer nicht mehr vorhandenen Statue übrig
geblieben: ΑΘΑΝΟΔΩΡΟΣ ΑΓΗΣΑΝΔΡΟΥ ΡΟΔΙΟΣ ΕΠΟΙΗΣΕ.
$. 133. Dieses Fußgestell, welchem vor Alters eine Statue von weißem Marmor eingefugt war, ist durch Seine Eminenz den Herrn
Alexander Albani, in dessen Villa es sich jetzt befindet, mit andern Alterthümern zu Porto d Anzio ausgegraben worden; von der
Statue konnte man nichts als ein Stück des Gewandes finden.
$. 134. Da es auf diese Art bewiesen ist, daß Athenodorus aus Rhodus ein Sohn des Agesander gewesen, so scheint es wahrschein-
lich, daß dieser auch der Vater des Polydorus war. Folglich ließe sich an nehmen, daß ein Werk, [189] welches den Vater mit zwey
Söhnen vorstellt, von dem Agesander mit seinen Söhnen gearbeitet, und daß die Hauptfigur, als die schwierigste, von dem Vater
selbst verfertigt worden.
$. 135. Wenn wir bey dem Mangel weiterer Nachrichten zu untersuchen wünschen, ob man eine Statue von solcher hohen
Vortrejflichkeit dem Jahrhundert des Lysippus zueignen könne, so wollen wir uns besonders auf das oben angeführte Urtheil des
Plinius berufen, weil dieser Schriftsteller nicht gewagt hätte, diese Statue jedem andern Werke der Bildhauerey und Mahlerey
vorzuziehen, wenn die Künstler derselben nicht aus dem Jahrhundert der schönsten Blüthe der Kunst gewesen wären, zumal da
die leidenschaftliche Vorliebe für das Alterthum zu den Zeiten des Plinius nicht weniger groß war als in unsern Tagen. Ein übri-
gens scharfsinniger und gelehrter Schriftsteller in Teutschland könnte mir hier den Einwurf machen, daß die Statue des Laocoon,
welcher Plinius große Lobsprüche beylegt, seiner Meynung zu Folge erst nach der Zeit des Virgilius verfertigt sey. Allein das weit
frühere Alter der Statue erhellt deutlich aus der Form der Buchstaben in der kurz vorher angeführten Inschrift, und am meisten
aus der Arbeit selbst, welche bey einer Vergleichung mit den ältesten und vollkommensten noch vorhandenen Werken, beson- [190]
ders wenn man die Köpfe der beyden Söhne beachtet, einen und denselben Styl mit den Köpfen der Ringer in Florenz zu haben
scheinen. Und diese Ringer sind Söhne der Niobe, wie ich bey Nr. 89 der von mir erklärten alten Denkmale bewiesen zu haben hofft.
Die Aussöhnung des Hercules, wird ohne Grund in diese Zeiten gesetzt.
$. 136. Mit mehr Grund kann man in die Zeiten der Kayser das erhobene Werk setzen, welches die Aussöhnung des Hercules
vorstellt, und von dem sehr gelehrten P. Eduard Corsini mit großem Scharfsinne und vieler Kenntniß erklärt worden. Dieser
Schriftsteller setzt dieses Werk wegen der angeblichen Vortrejflichkeit der Arbeit in die Zeit kurz nach Alexander dem Großen, ehe
noch Quintus Flaminius die Griechen für unabhängig von den Römern erklärte. Aber Corsini würde anders geurtheilt haben, wenn
er das Marmorwerk selbst gesehen. Er bildete sein Urtheil nach der Zeichnung des Kupferstichs und bey der Voraussetzung, daß der
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$. 129. Man könnte hier einen zerstümmelten tief geschnittenen Stein im Museum des Herrn Ritteres Vettori zu Rom entgegensetzen,
wo man an den mit Rüstung bewaffneten Beinen einer verstümmelten Figur die Umschrifi sieht: INTOC ΑΛΕΞΑ....ΕΠΟΙΕΙ das ist:
“Quintus, Sohn des Alexander hat es gemacht. ”Aber dieses Bey spiel, welches einzig ist, kann, selbst wenn noch so viele Bey spiele dieser
Art auf geschnittenen Steinen gefunden würden, meine Behauptung nicht schwächen, da sich diese nicht auf die Arbeiten späterer
Zeiten, wo die Künstler, je schlechter sie waren, desto mehr sich durch eine solche Veränderung ihres Namens ein Ansehen zu geben
suchten, sondern vielmehr auf die geschnittenen Steine der Künstler gründet, welche schon in alten Zeiten berühmt waren, und es
auch in unsern Tagen sind.
$. 130. Der Kopf stellt übrigens nicht den berühmten Athenienser Phocion dar, dessen Namen er trägt; dieser [187] Name muß viel-
mehr den Steinschneider anzeigen. Denn so wie die Namen der Gottheiten insgemein nicht unter ihre Bildnisse gesetzt wurden, weil
sie allein bekannt waren, eben so war es wenigstens bey den geschnittenen Steinen nicht gewöhnlich, die Köpfe berühmter Personen
mit ihren Namen zu bezeichnen.
$. 131. Ferner weiß man, daß ähnliche Betrügereyen schon in den alten Zeiten begangen wurden. Einige ließen, um den Werth irgend
einer Statue zu erhöhen, den Namen des Praxiteles einhauen, so wie es erhobene Werke in Silber gab mit dem falschen Namen des
berühmten Myron. Betrügereyen dieser Art waren auch in der Litteratur üblich; und es erschienen, da die Ptolemäer und die Könige
von Pergamus in Vergrößerung ihrer Bibliotheken wetteiferten, untergeschobene Schrifien aller Art unter dem falschen Namen
berühmter Schriftsteller.
$. 132. Und hier können wir uns nicht ohne Grund über das Stillschweigen des Plinius beklagen, welcher das Zeitalter so vieler
Künstler bestimmt, deren Namen für uns nach dem Verluste ihrer Werke weniger wichtig sind, aber nicht angemerkt hat, wann
Agesander, Polydorus und Athenodoris lebten. Sie waren aus der Insel Rhodus gebürtig und die Meister der Statue des Laocoon,
eines Werks, das, nach dem Urtheile des Plinius, allen Werken [188] der Bildhauerey und der Mahlerey vorgezogen werden muß.
Da Maffei fand, daß Plinius einen Bildhauer, mit Namen Athenodorus aujführt, als einen Schüler des berühmten Polycletus,
welcher in der sieben und achtzigsten Olympiade blühte: so hielt er ihn für einen der Künstler des Laocoon, und setzte ihn und
seine Gehülfen ohne irgend einen Grund in die folgende Olympiade; Richardson ist ihm hierin mit dem größten Vertrauen gefolgt.
Aber es läßt sich nichts anders mit Gewißheit und Sicherheit behaupten, als daßAthenodorus ein Sohn des Agesander war, wie
die nachfolgende Inschrift an einem Fußgestelle von grauem Marmor lehrt, das von einer nicht mehr vorhandenen Statue übrig
geblieben: ΑΘΑΝΟΔΩΡΟΣ ΑΓΗΣΑΝΔΡΟΥ ΡΟΔΙΟΣ ΕΠΟΙΗΣΕ.
$. 133. Dieses Fußgestell, welchem vor Alters eine Statue von weißem Marmor eingefugt war, ist durch Seine Eminenz den Herrn
Alexander Albani, in dessen Villa es sich jetzt befindet, mit andern Alterthümern zu Porto d Anzio ausgegraben worden; von der
Statue konnte man nichts als ein Stück des Gewandes finden.
$. 134. Da es auf diese Art bewiesen ist, daß Athenodorus aus Rhodus ein Sohn des Agesander gewesen, so scheint es wahrschein-
lich, daß dieser auch der Vater des Polydorus war. Folglich ließe sich an nehmen, daß ein Werk, [189] welches den Vater mit zwey
Söhnen vorstellt, von dem Agesander mit seinen Söhnen gearbeitet, und daß die Hauptfigur, als die schwierigste, von dem Vater
selbst verfertigt worden.
$. 135. Wenn wir bey dem Mangel weiterer Nachrichten zu untersuchen wünschen, ob man eine Statue von solcher hohen
Vortrejflichkeit dem Jahrhundert des Lysippus zueignen könne, so wollen wir uns besonders auf das oben angeführte Urtheil des
Plinius berufen, weil dieser Schriftsteller nicht gewagt hätte, diese Statue jedem andern Werke der Bildhauerey und Mahlerey
vorzuziehen, wenn die Künstler derselben nicht aus dem Jahrhundert der schönsten Blüthe der Kunst gewesen wären, zumal da
die leidenschaftliche Vorliebe für das Alterthum zu den Zeiten des Plinius nicht weniger groß war als in unsern Tagen. Ein übri-
gens scharfsinniger und gelehrter Schriftsteller in Teutschland könnte mir hier den Einwurf machen, daß die Statue des Laocoon,
welcher Plinius große Lobsprüche beylegt, seiner Meynung zu Folge erst nach der Zeit des Virgilius verfertigt sey. Allein das weit
frühere Alter der Statue erhellt deutlich aus der Form der Buchstaben in der kurz vorher angeführten Inschrift, und am meisten
aus der Arbeit selbst, welche bey einer Vergleichung mit den ältesten und vollkommensten noch vorhandenen Werken, beson- [190]
ders wenn man die Köpfe der beyden Söhne beachtet, einen und denselben Styl mit den Köpfen der Ringer in Florenz zu haben
scheinen. Und diese Ringer sind Söhne der Niobe, wie ich bey Nr. 89 der von mir erklärten alten Denkmale bewiesen zu haben hofft.
Die Aussöhnung des Hercules, wird ohne Grund in diese Zeiten gesetzt.
$. 136. Mit mehr Grund kann man in die Zeiten der Kayser das erhobene Werk setzen, welches die Aussöhnung des Hercules
vorstellt, und von dem sehr gelehrten P. Eduard Corsini mit großem Scharfsinne und vieler Kenntniß erklärt worden. Dieser
Schriftsteller setzt dieses Werk wegen der angeblichen Vortrejflichkeit der Arbeit in die Zeit kurz nach Alexander dem Großen, ehe
noch Quintus Flaminius die Griechen für unabhängig von den Römern erklärte. Aber Corsini würde anders geurtheilt haben, wenn
er das Marmorwerk selbst gesehen. Er bildete sein Urtheil nach der Zeichnung des Kupferstichs und bey der Voraussetzung, daß der