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Kommentare zu S. 295-347
Achtes Kapitel.
Medea.
Es ist einem Jeden aus der Fabellehre, und aus den tragischen Dichtern bekannt, was auf den Basreliefs unter Nr. 90 und 91. ent-
halten ist; nemlich die Rache, welche Medea wegen der Treulosigkeit des Jason übte. Eben dieses Sujet findet man aufdrey andern
Kunstwerken vorgestellt, so weit nemlich meine Kenntniß davon reicht. Das Eine ist in der Villa Borghese, auf welchem Bellori, der
nicht auf die neuern Ausbesserungen gemerkt hatte, so wie auch Montfaucon (Antiq. expliq T. 1. pl. 40.), irriger weise die Raserey
der Ceres bey Gelegenheit ihrer von Pluto geraubten Tochter Proserpina zu finden geglaubt haben. Das zweyte Denkmahl ist eine
Begräbnißurne, welche auf dem Hofe des Hauses Caucci neben der neuen Kirche steht, und das Dritte ist dasjenige, welches ich hier
beybringe und das sich auf dem Hofe des Hauses Lancellotti befindet.
Jason wurde nebst der Medea aus Jolcus vertrieben, weil er [richtig: sie] seinen Oheim Pelias unter dem Vorwande, ihn wieder zu
verjüngen, getödtet hatte. Er begab sich hierauf nach Corinth und verliebte sich daselbst in die Glauce, Tochter des dortigen Königs
Creon, worauf er die Medea von sich stieß, ungeachtet er zwey Söhne, den Mermerus und Pheres, von ihr hatte. Da Medea nunmehr
auf Befehl des Königs das Land räumen mußte, um nicht die neu vollzogene Ehe zu stöhren; faßte sie den Entschluß, sich auf das
Grausamste sowohl auf die Neuvermählte, als an ihren ehemaligen Gatten, zu rächen. Sie schickte zu dem Ende ihre Söhne mit
Geschenken zu ihr, unter denen sich auch ein vergiftetes Kleid befand. Glauce freuete sich darüber; allein kaum hatte sie es angezo-
gen; so starb sie unter den abscheulichsten Schmerzen. Die wüthende Medea begnügte sich nicht mit dem Tode ihrer Nebenbuhlerin,
sondern rasete nun auch gegen ihr eigenes Blut und brachte ihre Söhne um.
Unser Marmorwerk scheint aufder einen Seite die Vermählung Jasons und der Glauce vorzustellen. Zwischen ihnen steht Juno
Pronuba. Auf der andern Seite sitzt Glauce und empfängt die Geschenke, welche Medeens Söhne, von ihrem Erzieher geführt, ihr
bringen. Der Erste von ihnen trägt das erwähnte Kleid, der Andere die goldene Krone (Euripid. Med. v. 949. Ovid. Her. L. 6. v. 606.).
Der hinter der Glauce ausgespannte Schleyer deutet das Zimmer an, wo sie wohnte: denn vor demjenigen Th eile der Wohnung, den
die Griechen Αυλή nannten, war ein Schleyer (Παραπέτασμα) aufgehängt, der nach Art unserer Vorhänge vermöge eines Seils auf-
und niedergelassen werden konnte (Suid. v. Άρχίας et Κενοί κενά.). Selbst die Thüren pflegten ihren Vorhang zu haben (Porphyr, de
nymph. antr. p. 121. I. 7.), und derjenige, der vor der Thür des Tempels der Diana hing, wurde von unten nach oben hinaufgezogen
(Pausan. L. 5. p. 405. t. 21.).
Das Eisen des Spießes, welcher hinter dem Stuhle der Glauce hervorragt und den Vorhang fest zu halten scheint, giebt zu verschie-
denen Vermuthungen Anlaß. Ich wünschte, die bey den römischen neu verheiratheten Frauenzimmern übliche Gewohnheit hierher
deuten zu können, deren [13] Haare mit dem Eisen eines Spießes, der hasta celibaris hieß und mit welchem ein Fechter getödtet werden
mußte, geschmückt waren (Ovid. fastor. L. 2. v. 560. Plutarch. Romul. p. 47. I. 29. Quaest. Kom. p. 509. I. 1. Arnob. adv. Gentil. I.
2. p. 91.). Dieser Gebrauch hatte Beziehung auf die Juno, und zwar besonders auf diejenige, welche Curitis hieß und zum Kennzeichen
einen Spieß hatte. Allein dieses wäre doch zu weit hergehohlt. Ich erinnere mich auch des Eisens eines Spießes, mit welchem beym
Thucydides eine Thür verschlossen wird (Poll. Onom. L. 10. segm. 27.); aber ich kann auch davon hier keinen Gebrauch machen.
Ich muß noch den Leser benachrichtigen, daß mein Kupferstich nach einer Zeichnung aus der Sammlung des Kardinals Alexander
Albani genommen ist, weil ich glaubte, daß das Basrelief selbst nicht mehr in Rom existire. Nachher entdeckte ich es in dem Hause
Lancellotti, wie ich oben schon bemerkt habe, und sähe nunmehr, daß das, was ich bekannt machte, nur die Hälfte des ganzen
Kunstwerkes sey. Da dasselbe mitten durchgeschnitten worden ist; so hat es sich gefügt, daß die Spitze des Spießes der einen auf der
andern Hälfte stehenden Figur auf jener, die ich lieferte, übrig geblieben ist.
Da sich nun die andere Hälfte des Basreliefs ebenfalls noch in jenem Hause befindet; so stelle ich sie hier auch auf, um nicht ein
verstümmeltes Werk, dessen Ergänzung noch möglich ist, zu liefern, um so viel mehr, da das oben erwähnte Basrelief der Villa Borghese
von Sanctius Bartoli mit den daran aufs Gerathewohl angebrachten Ausbesserungen gezeichnet worden ist, die Jemand gemacht hat,
der das darauf vorgestellte Sujet gar nicht gekannt hat.
Die weibliche Figur, welche ganz von Sinnen und in einer heftigen Bewegung darauf erscheint, ist Glauce, wie sie von den heftig-
sten Schmerzen, die ihr das vergiftete Kleid verursachte, gepeinigt wird, und die bejahrte Person, welche hinter der Glauce in einem
langen Talar, zum Zeichen der königlichen Würde, steht, ist ihr Vater Creon. Er streckt seine linke Hand nach der Tochter aus und
macht mit der Rechten eine Bewegung, um sich das Haar auszureißen. Unterdessen steht Medea im Begriff, das abscheuliche Vorhaben
gegen ihr eignes Blut auszuführen, indem sie in der Rechten den entblößten Dolch, in der Linken aber die Scheide hält, um damit
ihren beyden Söhnen, die sich des tödtlichen Streichs nicht versahen, das Leben zu entreißen. Nachdem sie diese unmenschliche Rache
verübt hatte, fuhr sie, wie die Fabel erzählt, auf einem von geflügelten Drachen gezogenen Wagen davon.
Ob der Terminus hinter der Figur der Glauce symbolisch sey und sich auf den Ort, wo diese traurige Scene vorfiel, beziehe, weiß
ich nicht zu sagen. Auch wage ich es nicht, dasjenige darauf zu deuten, was Euripides in seinem Trauerspiele Medea den Boten sagen
läßt, der die Nachricht von dem herben Schicksale der Glauce überbringt; indem nemlich Einige von ihren bejahrten Frauenzimmern
Kommentare zu S. 295-347
Achtes Kapitel.
Medea.
Es ist einem Jeden aus der Fabellehre, und aus den tragischen Dichtern bekannt, was auf den Basreliefs unter Nr. 90 und 91. ent-
halten ist; nemlich die Rache, welche Medea wegen der Treulosigkeit des Jason übte. Eben dieses Sujet findet man aufdrey andern
Kunstwerken vorgestellt, so weit nemlich meine Kenntniß davon reicht. Das Eine ist in der Villa Borghese, auf welchem Bellori, der
nicht auf die neuern Ausbesserungen gemerkt hatte, so wie auch Montfaucon (Antiq. expliq T. 1. pl. 40.), irriger weise die Raserey
der Ceres bey Gelegenheit ihrer von Pluto geraubten Tochter Proserpina zu finden geglaubt haben. Das zweyte Denkmahl ist eine
Begräbnißurne, welche auf dem Hofe des Hauses Caucci neben der neuen Kirche steht, und das Dritte ist dasjenige, welches ich hier
beybringe und das sich auf dem Hofe des Hauses Lancellotti befindet.
Jason wurde nebst der Medea aus Jolcus vertrieben, weil er [richtig: sie] seinen Oheim Pelias unter dem Vorwande, ihn wieder zu
verjüngen, getödtet hatte. Er begab sich hierauf nach Corinth und verliebte sich daselbst in die Glauce, Tochter des dortigen Königs
Creon, worauf er die Medea von sich stieß, ungeachtet er zwey Söhne, den Mermerus und Pheres, von ihr hatte. Da Medea nunmehr
auf Befehl des Königs das Land räumen mußte, um nicht die neu vollzogene Ehe zu stöhren; faßte sie den Entschluß, sich auf das
Grausamste sowohl auf die Neuvermählte, als an ihren ehemaligen Gatten, zu rächen. Sie schickte zu dem Ende ihre Söhne mit
Geschenken zu ihr, unter denen sich auch ein vergiftetes Kleid befand. Glauce freuete sich darüber; allein kaum hatte sie es angezo-
gen; so starb sie unter den abscheulichsten Schmerzen. Die wüthende Medea begnügte sich nicht mit dem Tode ihrer Nebenbuhlerin,
sondern rasete nun auch gegen ihr eigenes Blut und brachte ihre Söhne um.
Unser Marmorwerk scheint aufder einen Seite die Vermählung Jasons und der Glauce vorzustellen. Zwischen ihnen steht Juno
Pronuba. Auf der andern Seite sitzt Glauce und empfängt die Geschenke, welche Medeens Söhne, von ihrem Erzieher geführt, ihr
bringen. Der Erste von ihnen trägt das erwähnte Kleid, der Andere die goldene Krone (Euripid. Med. v. 949. Ovid. Her. L. 6. v. 606.).
Der hinter der Glauce ausgespannte Schleyer deutet das Zimmer an, wo sie wohnte: denn vor demjenigen Th eile der Wohnung, den
die Griechen Αυλή nannten, war ein Schleyer (Παραπέτασμα) aufgehängt, der nach Art unserer Vorhänge vermöge eines Seils auf-
und niedergelassen werden konnte (Suid. v. Άρχίας et Κενοί κενά.). Selbst die Thüren pflegten ihren Vorhang zu haben (Porphyr, de
nymph. antr. p. 121. I. 7.), und derjenige, der vor der Thür des Tempels der Diana hing, wurde von unten nach oben hinaufgezogen
(Pausan. L. 5. p. 405. t. 21.).
Das Eisen des Spießes, welcher hinter dem Stuhle der Glauce hervorragt und den Vorhang fest zu halten scheint, giebt zu verschie-
denen Vermuthungen Anlaß. Ich wünschte, die bey den römischen neu verheiratheten Frauenzimmern übliche Gewohnheit hierher
deuten zu können, deren [13] Haare mit dem Eisen eines Spießes, der hasta celibaris hieß und mit welchem ein Fechter getödtet werden
mußte, geschmückt waren (Ovid. fastor. L. 2. v. 560. Plutarch. Romul. p. 47. I. 29. Quaest. Kom. p. 509. I. 1. Arnob. adv. Gentil. I.
2. p. 91.). Dieser Gebrauch hatte Beziehung auf die Juno, und zwar besonders auf diejenige, welche Curitis hieß und zum Kennzeichen
einen Spieß hatte. Allein dieses wäre doch zu weit hergehohlt. Ich erinnere mich auch des Eisens eines Spießes, mit welchem beym
Thucydides eine Thür verschlossen wird (Poll. Onom. L. 10. segm. 27.); aber ich kann auch davon hier keinen Gebrauch machen.
Ich muß noch den Leser benachrichtigen, daß mein Kupferstich nach einer Zeichnung aus der Sammlung des Kardinals Alexander
Albani genommen ist, weil ich glaubte, daß das Basrelief selbst nicht mehr in Rom existire. Nachher entdeckte ich es in dem Hause
Lancellotti, wie ich oben schon bemerkt habe, und sähe nunmehr, daß das, was ich bekannt machte, nur die Hälfte des ganzen
Kunstwerkes sey. Da dasselbe mitten durchgeschnitten worden ist; so hat es sich gefügt, daß die Spitze des Spießes der einen auf der
andern Hälfte stehenden Figur auf jener, die ich lieferte, übrig geblieben ist.
Da sich nun die andere Hälfte des Basreliefs ebenfalls noch in jenem Hause befindet; so stelle ich sie hier auch auf, um nicht ein
verstümmeltes Werk, dessen Ergänzung noch möglich ist, zu liefern, um so viel mehr, da das oben erwähnte Basrelief der Villa Borghese
von Sanctius Bartoli mit den daran aufs Gerathewohl angebrachten Ausbesserungen gezeichnet worden ist, die Jemand gemacht hat,
der das darauf vorgestellte Sujet gar nicht gekannt hat.
Die weibliche Figur, welche ganz von Sinnen und in einer heftigen Bewegung darauf erscheint, ist Glauce, wie sie von den heftig-
sten Schmerzen, die ihr das vergiftete Kleid verursachte, gepeinigt wird, und die bejahrte Person, welche hinter der Glauce in einem
langen Talar, zum Zeichen der königlichen Würde, steht, ist ihr Vater Creon. Er streckt seine linke Hand nach der Tochter aus und
macht mit der Rechten eine Bewegung, um sich das Haar auszureißen. Unterdessen steht Medea im Begriff, das abscheuliche Vorhaben
gegen ihr eignes Blut auszuführen, indem sie in der Rechten den entblößten Dolch, in der Linken aber die Scheide hält, um damit
ihren beyden Söhnen, die sich des tödtlichen Streichs nicht versahen, das Leben zu entreißen. Nachdem sie diese unmenschliche Rache
verübt hatte, fuhr sie, wie die Fabel erzählt, auf einem von geflügelten Drachen gezogenen Wagen davon.
Ob der Terminus hinter der Figur der Glauce symbolisch sey und sich auf den Ort, wo diese traurige Scene vorfiel, beziehe, weiß
ich nicht zu sagen. Auch wage ich es nicht, dasjenige darauf zu deuten, was Euripides in seinem Trauerspiele Medea den Boten sagen
läßt, der die Nachricht von dem herben Schicksale der Glauce überbringt; indem nemlich Einige von ihren bejahrten Frauenzimmern