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reinen Vernunft. Die Philosophie soll kein Abbild der Welt
mehr sein, ihre Ausgabe ist, die Normen zum Bewußtsein zu
bringen, welche allem Denken erst Werth und Geltung verleihen.

Aber eben deshalb weist dieses Buch, welches nur eine
Kritik der Erkenntniß sein will, über sich selbst hinaus. Die
Ausgabe der Wissenschast, zeigt es, ist nicht, die Welt abzubil-
den, sondern dem Spiel der Vorstellungen das normale Denken
gegenüberzustellen, und ihre philosophische Spitze besteht darin,
die letzten, alles übrige begründenden Principien des normalen
Denkens zu sormuliren. An die Stelle des Weltbildes, das
die griechische Philosophie suchte, tritt die Selbstbesinnung,
vermöge deren der Geist sein eigenes Normalgesetz sich zum
Bewußtsein bringt. Und wenn die Ausgabe der Philosophie
so gesaßt ist, so zeigt sich von selbst, daß sie mit der Ausstellung
der Normen des erkennenden Denkens erst zum geringsten Theile
gelöst ist. Denn es giebt andere Thatigkeiten des menschlichen
Geistes, in denen, unabhängig von allem Wissen, sich ebenso
eine Normalgesetzgebung, ein Bewußtsein davon offenbart, daß
aller Werth der einzelnen Functionen durch gewisse Regeln
bedingt ist, denen die individuelle Lebensbewegung sich unter-
ordnen soll. Neben dem normalen Denken steht das normale ^
Wollen und das normale Fühlen: sie haben alle drei das gleiche
Recht. Nachdem Kant die Meinung abgestreift hat, daß das ^
richtige Denken ein Abbild des Seins geben soll, verschwindet
der Anspruch des Denkens, alle Wahrheit in sich zu haben >md
aus sich zu schöpfen, von selbst: die Besinnung auf die Normen
erstreckt sich aus den ganzen llmsang des Seelenlebens.

So lange man die Wahrheit als Uebereinstimmung von
Vorstellung und Ding betrachtete, da war sie sreilich nur im
Denken zu suchen: denn von solchen Uebereinstimmungen ist
weder im sittlichen Handeln noch im ästhetischen Fühlen etwas
zu finden. Wenn man aber unter Wahrheit mit Kant die ,
 
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