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Das classische Element ist bei ihm nicht ein äußerlich ange-
nommenes, sondern ein so vollkommen verarbcitetes, daß seine
Dichtung sich damit durchaus identificirt. Diese Bedeutung ist
ihm in unserer Literaturgeschichte gesichert: daß sie, wie ich
Eingangs andeutete, heutzutage fast vergessen ist, bildet eines
der traurigen Symptome dasür, daß unser geistiges Leben in
Gesahr ist, von den Quellen abgelenkt zu werden, aus denen
sein innerster Gehalt herstammt.

Aber sür Hölderlin lag nun das Gesährliche dieser Richtung
darin, daß seiu ganzes Denken, Dichten und Sein in dies
antike Element ausging und daß er deshalb persönlich nur
den ticsen Gegensatz empsand, in welchem sich das unruhige
und gespaltene Leben der Gegenwart zu seinem Jdeal der
classischen Bildung befand. Jn den Oden, wo das volle Licht
künstlerischer Gestaltung waltet, tritt dieser Gegensatz nur als
ein Schatten auf, der hin und wieder über das Bild der
Schönheit huscht; im Leben Hölderlins ist er die Nacht gewor-
den, die sich über seinen Geist breitete, und zu drohenden
Wolken geballt, tritt er uns bereits in einem Werke entgegen,
in welchem der Dichter den vergeblichen Versuch machte, seine
Gesühle und Gedanken in der Form des Romans niederzulegen.
Die epische Anlage war ihm ebenso versagt wie die dramatische,
und so ist sein „Hhperion", dieser Roman in Briesen, welche
noch dazu durch die Fiktion, lange Jahre nach den wirklichen
Erlebnissen geschrieben zu sein, die Wirkung der Unmittelbarkeit
einbüßen, der Form nach ein durchaus mißlungenes Werk. Um
sv mehr ist es ein characteristisches Selbstbekenntniß des Dichters.
Mit glühenden Farben wird hier im Anschluß an die ersten
Zuckungen, mit denen das moderne Griechenland auszuleben
begann, das ideale Bild des alten Griechenthums gezeichnet,
und von demselben aus sallen die Reslexe einer geradezu bitteren
und ungerechten Kritik auf die Unschönheit, auf die Zerrissenheit,
 
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