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49, so ist cs felsenfest überzeugt, daß das immer so
und niemals anders sein wird, mag man nun statt der Stäb-
chen Kugeln oder statt der Acpsel Nüsse oder sonst Etwas
nehmen: und wern wollte es einsallen, zu ineinen, daß der
Grund sür jenc mathematische „Wahrheit" in dem empirischen
Auszählen, in der Art zu suchen sei, wie ihre Einsicht Psycho-
logisch veranlaßt worden ist! Ganz so aber ist es mit unserer
Ueberzeugung von allen Axiomen und Normen beschasfen: ihre
Berechtigung reicht weit über die psychologischen Processe hin-
aus, durch welche uns dieselbe zum Bewußtsein kommt. Unsere
Ueberzeugung davon, daß wir eine Aufgabe, eine Pflicht haben, ist
tieser begründet, äls in den individuell- oder socialpsychologifchen
Uebertragungcn, durch welche wir dazu erzogen werdeni sie
ruht in sich selbst, denn sie ist idcntisch mit unserem Gewissen.

Dies Pflichtbewußtsein ist jedoch, wie sich von selbst ver-
steht, ein lediglich formales Princip. Es besagt nur, daß
überhaupt nach einer Norm gewollt und gehandelt werden soll,
aber es besagt über den Jnhalt dieser Norm Nichts. Dcr
vberste Grundsatz der Sittlichkeit, das höchste Gebot lautet:
thue deine Pflicht! Aber er sagt nicht, was die Pflicht sei;
er verlangt nur, daß, welches auch im einzelnen Falle
die Pslicht sei, diese gethan werde. Er gilt also üüerall,
wo überhaupt von Sittlichkeit die Rede sein soll, und er läßt
doch für die ganze Fülle der Besonderheiten, die in Folge des
historischen Processes als sittlichc Nothwendigkeit hie und da
erscheinen können, völlig offenen Raum.

Man sieht leicht, daß wir uns mit diesem rein sormalen
Princip dicht bei dem „kategorischcn Jmperativ" von Kant
besinden. Auch dieser ist mit Verzicht aus jede inhaltliche Be-
stimmung rein sormalen Characters; auch er verlangt, recht
verstanden, nur, daß Jeder das thue, was er für seine Pslicht
erkannt hat, ohne darüber, was dies sei, etwas auszusageu.
 
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