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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie — Freiburg i. B. [u.a.], 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.19220#0329
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ich inich darüber soll crhebm können, so ist es nur durch den
Jnhalt, durch dcn Werth meiner Eristcnz möglich, — nur da-
dnrch, daß es mitten in dem zeitlichcn Abflnß mcines Lebens
etwas giebt, was über allc zeitliche Bcstimmung erhaben ist,
wcnn ich dies erfasscn und es zum Jnhalt mcines Seins machen
tann. Ein unbegrenztes Weiterlebeu hat sür mich nnr insofern
Werth, als es mir dasselbe ermöglicht, waS ich, wcnn es über-
haupt möglich ist, schon jetzt zn gewinnen vermag. Die Be-
sreinng von der Zeit und ihrcm Wechsel winkt nicht in der
unausdenkbarcn Ferne dcs ZeitvcrlanfS, sondcrn in jedem
Augenblick, wo ich in mir selbst die Zeit zu vcrnichten weiß.

Wenig tröstlich schcint mir dahcr, was sich die mcistcn
Menschen denken, wenn sie der Zcit die Ewigkeit gegenüber-
stellen. Aus vielen Redewendungen, die mir alle Tage be-
gegncn, sehe ich, daß sie nnter Ewigkeit nur eine unbegrenzte
Zuknnft denken. Jhrc Ewigkeit ist, im Grnnde genommen,
dic Zeit sclbst im Gegenfatze zn den einzelncn Zeitgrößen, die
sich nur in beschränkter Daner darstellen. Wer seinen Trost
schon in dem bloßen Gedanken findct, daß nuser Erdendasein
sich vhne Ende irgendwie und irgcndwo anders weiterspinnen
wird, — dem sei es gewiß nicht verwehrt. Die Bedürsnissc der
Menschen find verschicden, und damit auch ihr Wunsch nnd ihr
Glauben. Nur das foll man nicht sagcn, daß mit jcner Bvr-
stellungSwcise dic Zeit überwunden sci, welche vielmehr mit der
ganzen Endlosigkcit, dic zum Wesen ihrer Anschauung gehört,
die Grundlagc davon bildet. Jch aber frage jetzt nicht nach
der Daucr mcines Lebcns, sondern nach der Müglichkeit einer
zcitlvsen Existcnz.

Aber hüte ich mich, mein Verlangen zu hoch zn stellcn!
Jn der Zeitlofigkeit, in der Vernichtung der Zeit suche ich die
Ewigkeit: ist das nicht ein thörichtcs, ein unmögliches Be-
gehren? Stehe ich dvch selbst mit allen meinen Krüften und
 
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