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Windelband, Wilhelm
Kuno Fischer und sein Kant: Festschrift der "Kantstudien" zum 50. Doctorjubiläum — Hamburg, Leipzig, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.22256#0017
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Insbesondere müssen wir ihm aber dafür dankbar sein, dass er
durch seine Auffassung die Einheit der Kantischen Denkerpersönlich-
keit vor der Gefahr einer Verkennung gerettet hat, der sie von jeher
und nicht zum wenigsten durch Schopenhauer ausgesetzt gewesen
ist. Je zweifelloser es die Erkenntnistheorie ist, auf welcher der
synthetische Aufbau des Kritizismus sich errichtet und deren eigenstes
Merkmal die genaue Bestimmung der Tragkraft dieser Fundamente
ausmacht, um so näher liegt der Irrtum, zu meinen, nur die in so
weisen Maassen auf diesem Grundriss aufgeführte theoretische Philo-
losophie sei das feste und eigentliche Hauptwerk seines Geistes,
und der praktische Teil der Lehre sei nur ein leichter, in kühnen
Formen hingezimmerter Notbau zur Unterkunft für religiöse und
sittliche Gefühle. Gegenüber dieser Zersplitterung, welche die Motive
des Kantischen Denkens in der durch sie selbst hervorgerufenen
Entwicklung erfahren hatten, ist es Kuno Fischers Verdienst, mit
sicherem Blick erkannt und in einleuchtendster Deutlichkeit gezeigt
zu haben, wie die Kritik der reinen und die der praktischen Ver-
nunft sich gegenseitig und wie sie zusammen die Kritik der Urteils-
kraft fordern. Er hat damit die Einheit von Kants Lehre und
Persönlichkeit wiedergefunden, und zwar genau an dem Punkte,
wo sie wirklich liegt, in dem „Primat der praktischen Vernunft".
Er hat das Verständnis darauf gerichtet, dass nur von diesem
Punkte aus, der zugleich mit dem innersten Wesen von Kants Per-
sönlichkeit zusammenfällt, die letzten Tiefen seiner Erkenntnislehre
und seiner Aesthetik begreiflich werden. Es wird immer merkwürdig
bleiben, dass dies für die ganze nachkantische Philosophie mass-
gebende Verhältnis einem Manne wie Schopenhauer entgehen konnte,
dessen Willenslehre ja doch nur ein Zweig an diesem Stamme ist:
um so grösser ist das Verdienst Kuno Fischers, der mit dieser Ein-
sicht für das Verständnis Kants und der deutschen Philosophie einen
Grundstein gelegt hat, welcher unverrückt bleiben wird.

Während wir so versuchen, in kurzen Zügen zum Bewusstsein
zu bringen, was uns Kuno Fischer gewesen ist und ist, und ihm
damit den Dank und die Verehrung auszusprechen, die wir ihm
schulden, hat der Jubilar selbst zu seinem Ehrentage uns ein Ge-
schenk von hohem Werte gemacht: in der Ankündigung der Jubi-
läumsausgabe, in der seine „Geschichte der neueren Philosophie" neu
 
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